2012-02
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Unterhaltung<br />
Manufactur- und Confectionsgeschäft<br />
Karstadt“ eröffnete. Das Angebot<br />
wurde allmählich erweitert. Es<br />
dauerte, bis sich Georg Wertheim auf<br />
die Herausforderung „Berlin“ einließ.<br />
Der Architekt Alfred Messel entwarf<br />
schließlich ein riesiges Kaufhaus in<br />
Berlin an der Leipziger Straße, das<br />
1912 zum größten Warenhaus Europas<br />
wurde. So war es auch ein großer<br />
Augenblick im Leben von Georg<br />
Wertheim, als Kaiser Wilhelm II. und<br />
die Kaiserin 1910 das Warenhaus<br />
Wertheim an der Leipziger Straße<br />
in Berlin besuchten. Der inzwischen<br />
zum christlichen Glauben konvertierte<br />
Wertheim wurde dennoch von allen<br />
Seiten angefeindet und beneidet.<br />
Später holte sein Mitbewerber Leonhard<br />
Tietz auf und ließ eigene Warenhäuser<br />
in Berlin errichten. 1907<br />
ließ der Geschäftsmann Adolf Jandorf<br />
vom Architekten Johann Emil<br />
Schaudt das KaDeWe am Kurfürstendamm<br />
errichten, das bis heute ein<br />
„Tempel“ für Konsumenten und ein<br />
Besuchermagnet ist. Das KaDeWe ist<br />
neben dem Alsterhaus in Hamburg<br />
noch immer das Flaggschiff unter den<br />
deutschen Warenhäusern. Hier bekommt<br />
man alles – außer inzwischen<br />
Stecknadeln und Kurzwaren. Beeindruckend<br />
ist noch heute der livrierte<br />
Portier am Haupteingang und dann<br />
der riesige Lichthof, in dem ständig<br />
wechselnd Themenwelten präsentiert<br />
werden: KPM-Porzellan, Edel-Reisegepäck<br />
und Designermode natürlich.<br />
Außerdem bieten die Feinschmecker-<br />
Abteilung im Obergeschoss und das<br />
Restaurant mit dem tollen Ausblick<br />
die feinsten Leckereien aus aller Welt.<br />
Hier gilt: Luxus ist geil. Wie schon<br />
Oscar Wilde sagte: „Ich habe einen<br />
ganz einfachen Geschmack, von allem<br />
nur das Beste.“ In Düsseldorf<br />
erbaute der österreichische Architekt<br />
Josef Maria Olbrich Anfang des 20.<br />
Jahrhunderts das Warenhaus Tietz<br />
an der Königsallee. Und wie um die<br />
Jahrhundertwende strömen auch heute<br />
noch die Passanten und Flaneure<br />
in die Warenhäuser, nicht unbedingt<br />
um zu kaufen. Es ist ein Ausflugsziel.<br />
Die Kaufhäuser waren natürlich auch<br />
gewaltige „Jobmaschinen“. Wertheim<br />
beschäftigte vor dem 1. Weltkrieg<br />
3.200 „Ladenfrolleins“ und Verkäufer.<br />
Die hübschen Verkäuferinnen bei Tietz<br />
gingen als „Tietze-Miezen“ in die Literatur<br />
ein. Bei Tietz arbeiteten 1927<br />
13.000 Angestellte. Außerdem setzten<br />
die Warenhäuser mehr und mehr<br />
auf Eigenfabrikation von Bekleidung<br />
(von der Stange) und erwarben weitere<br />
Produktionsbetriebe wie Druckereien,<br />
Metzgereien, Bäckereien und so weiter.<br />
Unzählige Handwerker und Arbeiter<br />
fanden hier Beschäftigung. Nicht<br />
zu vergessen: die Bauwirtschaft erlebte<br />
einen gigantischenAufschwung und<br />
die besten Architekten konkurrierten<br />
mit immer ausgefeilteren Entwürfen.<br />
Künstler und Kunsthandwerker bekamen<br />
Aufträge für Innendekorationen<br />
wie Skulpturen, Baukeramik oder<br />
Glasbilder für die Kuppeln.<br />
Die Weltwirtschaftkrise und der 1.<br />
Weltkrieg stürzten natürlich auch die<br />
deutschen Warenhäuser in gewaltige<br />
Absatzprobleme. Aber erst die radikale<br />
Arisierungspolitik der aufkommenden<br />
Nationalsozialisten nach dem<br />
Krieg setzte der gigantischen Entwicklung<br />
der Warenhäuser ein jähes Ende.<br />
Die Geschäfte wurden boykottiert, die<br />
meist jüdischen Besitzer wurden enteignet<br />
oder mit einem Bruchteil des<br />
eigentlichen Wertes abgespeist. So erwarb<br />
zum Beispiel die Familie Karg<br />
aus Berlin die Tietz-Warenhäuser und<br />
nannte das neue Unternehmen nun<br />
Hertie – die Abkürzung von Hermann<br />
Tietz. Auch die Karstadt-Kette blieb<br />
von Sanktionen nicht verschont: Galt<br />
doch das Warenhaus an sich als „jüdische<br />
Erfindung“.<br />
Heute sehen wir, wie das Konzept<br />
des Warenhauses zu kämpfen<br />
hat: Malls (Einkaufszentren) wie die<br />
Siegener City-Galerie verdrängen die<br />
Kaufhäuser. Außerdem können wir<br />
heute alles im Internet bestellen. Aber<br />
da fehlt das Probieren, Anfassen, Vergleichen,<br />
Riechen, Schmecken. Der<br />
Postbote kann das Erlebnis Warenhaus<br />
nicht ersetzen. Tessie Reeh<br />
Weiterführende Literatur: Erica Fischer und Simone<br />
Ladwig-Winters : DIE WERTHEIMS, Geschichte<br />
einer Familie, Reinbek 2007<br />
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