2012-02
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ALLES UNTER EINEM DACH<br />
von der Stecknadel bis zum Konzertflügel<br />
In Siegen wird immer noch vom „alten Kaufhof“ gesprochen,<br />
wo heute im KrönchenCenter die Volkshochschule,<br />
Stadt-Bibliothek und -Archiv und einige Läden hinter<br />
der restaurierten Fassade untergebracht sind. (Bild oben)<br />
Das ursprügliche Warenhaus Tietz wurde 1928 nach Plänen<br />
des Architekten Wilhelm Kreis errichtet (Bild rechts).<br />
Wie in vielen Städten weltweit hatten die Kaufhäuser eine<br />
magische Anziehungskraft. Besonders die kunstvollen<br />
Weihnachtsdekorationen in den Schaufenstern lockten die<br />
Schaulustigen an und ließen nicht nur die Kinderherzen höher<br />
schlagen. Alte Siegener erinnern sich vielleicht noch an<br />
die liebevoll gestalteten Siegener Stadtansichten, die nach<br />
1950 von Albert Hamm und den Dekorateur-Lehrlingen für<br />
die Schaufenster und als Innendekoration gestaltet wurden.<br />
Heute sind einige dieser Dioramen (Schaukästen) im kleinen<br />
Saal des Hainer Heimatvereins untergebracht und verzaubern<br />
auch im 21. Jahrhundert den Betrachter.<br />
Erst gab es – wie auch heute noch – die Märkte, die alles<br />
feilboten, was notwendig war. Hier wurde um den Preis der<br />
Waren gefeilscht. Und in den Großstädten luden außerdem<br />
die Passagen zum Flanieren und Einkaufen ein – etwa in<br />
Brüssel, Mailand, Leipzig oder Wien – in denen sich die<br />
kleinen aber feinen Geschäfte des Einzelhandels angesiedelt<br />
hatten. Erst der innovative Pariser Unternehmer Aristide<br />
Boucicaut hatte nach 1850 das Konzept des Kaufhauses<br />
(franz. magasin) entwickelt. Unter dem Dach des „Bon<br />
Marché“ (guter Markt) wurden nun Waren allerArt zu festen<br />
Preisen gegen Barzahlung verkauft. Er entwickelte auch als<br />
einer der ersten Lockangebote. Für bestimmteArtikel senkte<br />
er bewusst seine Gewinnspanne. „Geiz ist geil“, dieser Slogan<br />
ist auch heute noch aktuell und lockt die Kunden. 1869<br />
begann Aristide Boucicaut mit dem Bau des Warenpalastes<br />
„Au Bon Marché“ das einen kompletten Pariser Straßenblock<br />
einnahm. Gustave Eiffel entwarf die Eisenkonstruktion.<br />
Hier wurde nun alles angeboten: Schnitt- und Kurzwaren,<br />
Mode, Parfum und Kosmetik, Lebensmittel, Möbel,<br />
Bücher, Partituren etc. etc. Sein Konzept zeigte Wirkung:<br />
Paris war im Kaufrausch. 1883 erschien dann auch der erste<br />
Roman von Emile Zola, der mit „Das Paradies der Damen“<br />
Foto: Stadtarchiv Siegen<br />
den Zauber des Kaufhauses<br />
zum literarischen<br />
Thema machte.<br />
Doch die Konkurrenz<br />
schlief auch damals nicht:<br />
Der Pariser Geschäftsmann<br />
und Visionär Théophile<br />
Bader besaß 1893<br />
einen Wäschemodenladen<br />
von 70 qm. Innerhalb<br />
von wenigen Jahren vergrößerte<br />
sein Geschäft<br />
mit Hilfe seines Cousins<br />
zu einem Warenhaus der<br />
Superlative, zu einem<br />
Jugendstil-Einkaufsparadies<br />
mit farbiger Glaskuppel<br />
und Galeriehallen von<br />
18.000 qm. Die berühmte<br />
„Galerie Lafayette“ in Paris wurde nun zum zweiten Anziehungspunkt<br />
für die Damen und Herren der Gesellschaft. Die<br />
atemberaubendeArchitektur mit Lichtkuppel und Haupttreppe<br />
wie im Theater oder Museum machte die Warenhäuser<br />
zu nicht mehr wegzudenkenden Attraktionen. Dazu kamen<br />
die raffinierten Dekorationen, von den besten Designern der<br />
Zeit geschaffen. Und der Duft aus der Parfumerie-Abteilung<br />
durchströmte die Säle. Das Warenhaus wurde zum Gesamtkunstwerk<br />
und<br />
jeder Besucher<br />
konnte sich<br />
als Teil dieser<br />
grandiosen Illusion<br />
fühlen.<br />
Von Paris aus<br />
nahm der Siegeszug<br />
des<br />
Warenhauses<br />
durch Europa<br />
und die USA<br />
seinen Anfang.<br />
Das feine<br />
Bloomingdales<br />
und Harrods<br />
in London,<br />
Macy´s in New<br />
York folgten. Große Halle im Pariser Stammhaus der<br />
So wird aus<br />
Galerie Lafayette<br />
England folgende<br />
Anekdote erzählt: Bei Whiteley in London soll ein<br />
Kunde einen Elefanten bestellt haben und prompt erfolgte<br />
die Lieferung am gleichen Nachmittag.<br />
Deutschland folgte zögernd. In Stralsund bzw. Gera eröffneten<br />
jüdische Kaufleute in den 80-ger Jahren die ersten,<br />
eher bescheidenen Kaufhäuser: Georg Wertheim und<br />
Leonhard Tietz. In den Geschäften wurden zunächst Garne,<br />
Knöpfe, Posamenten, Weiß- und Wollwaren verkauft.<br />
Ähnlich war das 1881 gegründete Unternehmen von Rudolph<br />
Karstadt, der in Wismar sein Geschäft für „Tuch-,<br />
48 25 Jahre durchblick 2/<strong>2012</strong><br />
Foto: Benh Lieu Song, wikipedia.de