Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der ...

Bush erdreistete sich 2002 in Salt Lake City, die Winterspiele
mit der von ihm abgewandelten traditionellen olympischen
Formel durch den Zusatz zu eröffnen: "Im Namen einer
großen Nation." Das hatte sich 1936 in Berlin nicht einmal
Adolf Hitler getraut. Damals schwieg Rogge, wie er auch zu
lange geschwiegen hat zur Menschenrechtsproblematik. Was
immer an Regelverletzungen im Pekinger August passiert, es
sollte nicht vergessen werden, dass allmächtiges Denken und
Handeln keine spezielle chinesische Disziplin ist.
Kaum etwas ist bei diesen Olympischen Spielen sicher. Das
von China gewählte Motto "Eine Welt, ein Traum" hat eher
eine verschleiernde Wirkung. In der Polarität von Yin und
Yang werden die Spiele zu einer hoch spannenden Realität,
die ihren Ausdruck findet zwischen Alptraum und Traum,
Repression und Freiheit, Depression und Euphorie, Zumutung
und Anmutung, Formation und Spontanität - zwischen
Scheitern und Großartigkeit. Der olympische Philosoph Willi
Daume hat es einmal so ausgedrückt: "Der Sport ist immer
ein Kind seiner Zeit. Es gibt kein Entrinnen."
China und die Olympischen
Spiele - ein Hindernislauf
Von Michael Gernandt
Am 24. März ist in Griechenland die olympische Flamme
entzündet worden, und einer der ersten Chinesen,
der an diesem Tag die Fackel auf ihrem umstrittenen
Weg nach Peking tragen durfte, war der 76-jährige Liu Hongliang.
Was nun den Namen Liu betrifft, sollte man wissen,
dass er in China so häufig ist wie bei uns Müller oder
Schmidt. Prominentester Liu ist derzeit Liu Chiang, der Hürdenweltrekordler
und erste chinesische Olympiasieger der
Leichtathletik. Der Rentner Liu Hongliang kann es an
Berühmtheit nicht aufnehmen mit dem Hürdenflitzer aus
Shanghai, der ein Idol seiner Landsleute ist. Und längst Millionär.
Aber ein besonderer Liu muss der Fackelläufer dennoch
sein, hätten sie den alten Herrn sonst zur Entzündung nach
Europa geflogen?
Schreiben wir nicht weiter um den heißen Brei herum. Nicht
der jetzige Senior besitzt den Promistatus, sondern der einstige
Junior. Liu Hongliang ist der Sohn des ersten chinesischen
- nein, nicht Medaillengewinners, das war 1960 der Zehnkämpfer
C.K. Yang - Olympiateilnehmers überhaupt: Liu
Changchun startete 1932 in Los Angeles als 22-jähriger
Sprinter in den Vorläufen über 100 m (11,5 sek.) und 200 m
(23,4). Weiter kam der junge Mann nicht, und einen anderen
Chinesen sucht man vergeblich in der Teilnehmerliste der
Spiele in Kalifornien. Mit Sport hatte China in jener Zeit der
Kuomingtang-Regierung nicht viel im Sinn und Liu Changchung
eigentlich keine Chance, die Reise in die USA anzutreten.
Liu lebte in Dalian in der Nordost-Provinz Liaoning, die
von Japan besetzt und deshalb zu Manchukuo mutiert war.
Der Besatzer wollte Liu als Repräsentant des Marionettenstaats
Manchukuo zu den Spielen schicken, Liu jedoch nur für
China rennen. Ermöglicht hat das zu guter Letzt General
Zhang Xueliang, ein Freund des Hauses Liu und ein Japanhasser.
Zhang "sponserte" den Olympiastart Lius.
Die Geschichte des Liu Changchung zu reflektieren ist nicht
deshalb wichtig, weil jetzt auch Chinas Filmemacher Interesse
an ihr fanden. Nein, sie ist exemplarisch, weil sie den Beginn
des steinigen Wegs der Chinesen zum IOC und den Olympischen
Spielen markiert. Vor 1932 gab es nur zwei Kontakte
von Belang: Die Einladung zu den Spielen 1896, die China
unbeantwortet ließ, und Coubertins Versailler Begegnung mit
dem Politiker Dr. Wang Cheting, die 1922 in die persönliche
Mitgliedschaft des späteren Außenministers
mündete. Und sonst? Besaß der
olympische "Leistungssport westlicher
Prägung in China keine Wurzeln", wie
die "Frankfurter Allgemeine" mal vermerkte.
Besser funktionierte die Einflussnahme
der chinesischen Politik auf
die Olympische Bewegung, angedeutet
zunächst durch Wangs Annäherung an
den Begründer der modernen Spiele,
mit voller Wucht auf das IOC nieder
gegangen aber erst nach 1945.
Vor dieser Zeitenwende war der auf nur
wenige Disziplinen beschränkte Sport
des China der Kuomingtang wohl 1936
in Berlin mit 54 medaillenlosen Teilneh-
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