Wenn Materialfrage <strong>und</strong> mentale Bremse das Höchstleistungsstreben beeinflussen Von Bianka Schreiber-Rietig 40
Es stellt sich nun also wie<strong>der</strong> mal die Materialfrage. Was heißt wie<strong>der</strong> mal! Nicht nur vor internationalen Großereignissen wie <strong>Olympischen</strong> Spielen sorgen häufig neue Entwicklungen für heiße Diskussionen <strong>und</strong> manchmal auch Krach. Beson<strong>der</strong>e Kufen bei den Rodlern, Anzüge, die kein Wasser aufnehmen, Rennradrahmen aus noch leichterem Metall, Skibeläge mit neuesten Gleit- <strong>und</strong> Steigeigenschaften. Und <strong>und</strong> <strong>und</strong>. Die Konkurrenz mit neuer Hightech-Ausrüstung - <strong>und</strong> wir mit altem Krempel? Allgemeine Verunsicherung, wenn plötzlich <strong>der</strong> Mann o<strong>der</strong> die Frau neben einem im Becken diesen Anzug trägt, dem W<strong>und</strong>erdinge nachgesagt werden <strong>und</strong> mit dem bereits eine Reihe Weltrekorde geschwommen wurden. Im Kopf <strong>des</strong> Sportlers fängt es an zu rattern: Chancenlos, das Material bringt die entscheidenden h<strong>und</strong>ertstel Sek<strong>und</strong>en, da kann ich mich abstrampeln wie ich will. Die mentale Bremse ist gezogen. Man glaubt nicht mehr an sich <strong>und</strong> seine eigene Leistungsfähigkeit, <strong>und</strong> da helfen dann auch die glückbringenden ungewaschenen Ringelsocken nicht mehr. Die Firma, die nun diesen sagenhaften Schwimmanzug im fernen Australien entwickelt <strong>und</strong> mit einer weltweiten Werbekampagne vorgestellt hat, sorgte für Furore <strong>und</strong> bringt nicht nur die Schwimmer ins Grübeln, son<strong>der</strong>n auch die Laien. Was hat eine Teflonpfanne mit einem Schwimmanzug zu tun? Was sagt uns Polytetrafluorethylen (PTFE - weißer Kunststoff mit sehr geringem Reibungskoeffizent, aus dem man unter an<strong>der</strong>em GoreTex herstellt). O<strong>der</strong> was hat eine amerikanische Fertig-Duschkabine mit einem Hochsprungstab gemein? Beide sind aus Glasfiber. Welche Rolle spielt die NASA <strong>und</strong> überhaupt die Weltraumfahrt, wenn es um Stoffe geht, aus denen nicht nur Sportgeräte entstehen, son<strong>der</strong>n mit denen gleichzeitig Medaillenträume geweckt werden? Wie oft in den letzten Jahren wurden Materialschlachten aufgeregt nicht nur in den Medien ausgetragen. Schwimmer diskutieren nahezu in je<strong>der</strong> Saison über ihr "Sportgerät": die Badehose. Ähnlich die Skisportler. Vor allem die Skispringer fliegen mal mit am Körper anliegenden, mal mit weiten Overalls über den Schanzentisch. Mal hat <strong>der</strong> Ski ein Loch in <strong>der</strong> Schaufel, mal ist er länger o<strong>der</strong> breiter. Automobilsportler streiten über Reifen o<strong>der</strong> Tanks, über zu schwer o<strong>der</strong> zu leicht bef<strong>und</strong>ene Karosserien. Welcher Spoiler ist windschnittiger? Kufen am Rodel <strong>und</strong> Bob o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Eisschnelllaufbahn sind auch ein beliebtes Thema, ebenso wie Spekulationen über den Zusammenhang zwischen Sturz-Risiko <strong>und</strong> leichten Karbon-Rennrä<strong>der</strong>n. Was bringt denn nun wirklich was, <strong>und</strong> wo wird bestenfalls eine Art von "Placeboeffekt" erzielt? Legendenbildung <strong>und</strong> Halbwahrheiten halten sich - sind sie einmal in die Welt <strong>des</strong> Sports eingedrungen - sehr hartnäckig. Harald Schaale, Leiter <strong>und</strong> Chefkonstrukteur <strong>des</strong> Instituts für Forschung <strong>und</strong> Entwicklung von Sportgeräten (FES) in Berlin setzt dem "Fakten <strong>und</strong> Objektivität" entgegen. "Gesamtkomplexität" nennt er das, was zwischen Mensch <strong>und</strong> Maschine/Material gesehen werden muss: "Wenn ein Sportler die Leistung nicht bringt, nützt ihm auch gutes Material nichts. Und wenn er ausgezeichnet in Form ist <strong>und</strong> schlechtes Material hat, dann kann er bei dem Konkurrenten, bei dem alles stimmt, eben ins Hintertreffen geraten." Deshalb sind Materialforschung <strong>und</strong> Trainingswissenschaften für den Wissenschaftler eine untrennbare Symbiose. Denn: Der Mensch muss die Technik ja auch anwenden <strong>und</strong> vor allem beherrschen können. Wer zum Beispiel eine Rodel- o<strong>der</strong> Bobbahn hinunter rast, <strong>der</strong> sollte einige physikalische Gesetze kennen <strong>und</strong> seine Sportgeräte im Griff haben. An<strong>der</strong>seits, so Schaale, nützen Hightech-Geräte kaum etwas, wenn <strong>der</strong> Akteur etwa beim Skilanglauf, Eisschnelllaufen o<strong>der</strong> im Kanu seine Energie nicht optimal umsetzen kann. Gerne tüfteln die 53 FES-Mitarbeiter mit den Athleten, hören zu, was den Aktiven, die so etwas wie ein "Mikrogefühlsystem" in Bezug auf ihr Sportgerät haben, auffällt. Wenn einem Eisschnellläufer eine Kufe zu schaffen macht, die angeblich "schnirpst", dann wird so lange getestet, bis <strong>der</strong> "Fehler" gef<strong>und</strong>en ist - in diesem Fall lag es wirklich an <strong>der</strong> Kufe. Nicht immer sind Sportlerwünsche technisch nötig, aber ungemein beruhigend. Schaale sieht sich als Dienstleister. Er arbeitet seit fast drei Jahrzehnten im FES, das in den 60er Jahren als Entwicklungsabteilung für Sportgräte von <strong>der</strong> Forschungsstelle <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> Hochschule für Körperkultur (DHFK) in Leipzig entstand. Doch noch immer nehmen zu wenige Verbände, so scheint es jedenfalls, die Dienste <strong>des</strong> weltweit renommierten Instituts in Anspruch. Gerade mal zwölf Verbände kooperieren regelmäßig mit dem FES, das gleichzeitig sehr eng mit dem IAT, dem Institut für angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig zusammenarbeitet. Die, die kommen, wie etwa Radfahrer, Kanuten, Bobfahrer, Rodler, Segler, Eisschnellläufer o<strong>der</strong> auch manchmal Skifahrer <strong>und</strong> Schwimmer, haben ausgezeichnete Erfahrungen mit den Berlinern gemacht. Auch an<strong>der</strong>e versuchen auf ungewöhnlichem Weg von den Kenntnissen <strong>und</strong> Entwicklungen <strong>des</strong> Instituts zu profitieren: Immer wie<strong>der</strong> werden illegale Zugriffe auf die Computer registriert. Die Konkurrenz schläft nicht <strong>und</strong> möchte beispielsweise von <strong>der</strong> Messtechnik profitieren, in <strong>der</strong> es weltweit Spitzenreiter ist. Doch nicht nur davon. Die Hightech- Geräte <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> sind weltweit gefragt: Die Chinesen sitzen bei den Spielen in Peking in deutschen Booten. Apropos Messtechnik. Da wäre nun eine Möglichkeit etwa herauszufinden, welche "W<strong>und</strong>ereigenschaften" <strong>der</strong> neue Schwimmanzug wirklich hat, <strong>der</strong> für soviel Ärger im Deut- 41