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Dieter Kochheim, Verdeckte Ermittlungen im Internet - Cyberfahnder

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<strong>Kochhe<strong>im</strong></strong>, <strong>Verdeckte</strong> <strong>Ermittlungen</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>, S. 18<br />

Sie verlangen <strong>im</strong>mer nach strengen Anforderungen<br />

an die Voraussetzungen und zu einer regelmäßigen<br />

und konsequenten Prüfung nach Maßgabe<br />

des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.<br />

Diese Zurückhaltung kennt die Cybercr<strong>im</strong>e nicht.<br />

Ihre Täter nutzen alle Schwachstellen und Schwächen,<br />

um zu Erfolg und besonders zu Gewinn zu<br />

kommen. Sie setzen bedenkenlos Malware, technische<br />

Geräte und kommunikative Manipulationstechniken<br />

ein, um Daten auszuspähen, Botnetze<br />

aufzubauen oder Zahlungsvorgänge zu manipulieren.<br />

Die Forderung nach einer allgemeinen „Waffengleichheit“<br />

für Kr<strong>im</strong>inelle und die Strafverfolgung<br />

kann in einem Rechtsstaat nicht ernsthaft erhoben<br />

werden, wenn als Flurschäden zwangsläufig auch<br />

die Rechte Unbeteiligter beeinträchtigt werden.<br />

Das wird besonders deutlich bei den „Turmdaten“.<br />

Dabei geht es darum, die Kennungen (IMSI und<br />

IMEI) aller mobilen Telekommunikations-Endgeräte<br />

zu erfassen und auszuwerten, die sich in einem<br />

umgrenzten Zeitraum an einem best<strong>im</strong>mten Ort<br />

befunden haben. Für die Strafverfolgung geht es<br />

dabei nur darum, die Anwesenheit des mobilen<br />

Telefons eines meistens noch unbekannten Täters<br />

festzustellen und die Kontaktpersonen, mit denen<br />

er gesprochen hat. Dass Erna Müller auch mit einer<br />

Friedhofsgärtnerei und Angelo Glattelli mit einem<br />

Bordell telefoniert haben, interessiert keinen<br />

professionellen Strafverfolger. Die Daten, die diese<br />

Tatsachen belegen, müssen aber <strong>im</strong> Interesse<br />

der Aktenwahrheit gespeichert und zur Akteneinsicht<br />

des Verteidigers aufbewahrt werden, verschwinden<br />

dazu aber in einer Masse anderer Daten,<br />

unter denen sie sich nicht hervorheben.<br />

Wegen solcher überschießenden Erhebungen von<br />

Verkehrsdaten verlangt das Gesetz (§ 100g<br />

StPO), schließlich mit Zust<strong>im</strong>mung des BVerfG 80 ,<br />

unter anderem den Verdacht auf eine schwere<br />

Straftat und verweist deshalb auch auf den Straftatenkatalog<br />

in § 100a Abs. 2 StPO.<br />

Der punktuelle Zugriff auf Verkehrsdaten, wie er<br />

80 BVerfG, Urteil vom 02.03.2010 - 1 BvR 256, 263,<br />

586/08, Leitsatz 5<br />

bei der Bestandsdatenauskunft nach § 113 TKG<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit dynamischen IP-Adressen<br />

erfolgt, kennt solche hohen Schranken nicht. Ihn<br />

leitete das BVerfG 2010 nicht aus § 100g StPO<br />

ab, sondern aus der Ermittlungsgeneralklausel in<br />

§ 161 Abs. 1 StPO, so dass bei jedem Verdacht<br />

auf eine Straftat ein selbständiger Auskunftsanspruch<br />

der Polizei ohne den Umweg über die<br />

Staatsanwaltschaft besteht 81 .<br />

Betroffen von der Verkehrsdatenerhebung und<br />

dem Rückgriff auf sie für eine Bestandsdatenauskunft<br />

sind dieselben Grundrechte, das informationelle<br />

Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht und das Fernmeldegehe<strong>im</strong>nis,<br />

aber in ganz unterschiedlicher Stärke.<br />

Das ist der Grund dafür, dass sie aus verschiedenen<br />

Eingriffsermächtigungen abgeleitet werden<br />

können 82 .<br />

Angesichts der Formen und Ausbreitung, die die<br />

Cybercr<strong>im</strong>e genommen hat, wäre es fatal, die<br />

Strafverfolgung in allen wesentlichen Bereichen zu<br />

beschränken und zur Erfolglosigkeit zu verdammen.<br />

Eine – zu Recht – Freiheiten fordernde Gesellschaft<br />

ohne Biss gegen die, die sie bedenkenlos<br />

missbrauchen, muss ihre Toleranz irgendwann<br />

teuer bezahlen und das spätestens dann, wenn<br />

Angst und Verunsicherung eine so tiefe Verwurzelung<br />

erreicht haben, dass soziale Prozesse, Solidarität<br />

und Nächstenliebe der neurotischen Angst<br />

vor Missbrauch und Bösartigkeit gewichen sind.<br />

Die Erörterung der wesentlichen Ermittlungsmethoden,<br />

die hier anschließt, hat zwei Ziele: Einerseits<br />

geht es mir darum, unsinnigen Unsicherheiten<br />

entgegen zu treten und betrachte ich die wesentlichen<br />

Maßnahmen wegen ihrer Zulässigkeit<br />

nach Gesetz, Rechtsprechung und technischem<br />

Standard. Andererseits lote ich dazu auch die<br />

Grenzen der Zulässigkeit aus, um ausufernden<br />

81 BVerfG, Beschluss vom 13.11.2010 - 2 BvR<br />

1124/10<br />

82 Die jüngste Entscheidung des BVerfG verlangt aber<br />

nach mehr Normenklarheit, ohne aber die Ermittlungsgeneralklauseln<br />

zu erwähnen. Wegen der Auskünfte<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf dynamische IP-Adressen<br />

müssen bis zum 30.06.2013 ergänzende Regeln geschaffen<br />

werden (BVerfG, Beschluss vom<br />

24.01.2012 - 1 BvR 1299/05).

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