Sonderheft 255 Special Issue - Johann Heinrich von Thünen-Institut
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F. Mayer und H. Albrecht / <strong>Sonderheft</strong> Landbauforschung Völkenrode (2003) SH <strong>255</strong>:9-17 9<br />
2 Fachbeiträge<br />
2.1 Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense)<br />
2.1.1 Biologie<br />
2.1.1.1 Ausbreitungsbiologie der Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense (L.) Scop.)<br />
<strong>von</strong> Franziska Mayer 1 und Harald Albrecht 2<br />
Zusammenfassung<br />
Nachdem Cirsium arvense in der ersten Hälfte des 20.<br />
Jahrhunderts zu einem der gefürchtesten Ackerunkräuter<br />
geworden war, ihr Vorkommen bis zu den<br />
90er Jahren aber wieder rückläufig wurde, gibt es nun<br />
Hinweise darauf, dass die Art seit Beginn der 90er<br />
Jahre zumindest regional wieder zunimmt. Deshalb<br />
soll die vorliegende Arbeit einen Überblick über den<br />
Kenntnisstand zur Ausbreitungsbiologie der Acker-<br />
Kratzdistel geben.<br />
C. arvense weist eine besonders breite ökologische<br />
Amplitude auf, weshalb sich Populationen aus zahlreichen<br />
Lebensräumen in Ackerflächen hinein ausbreiten<br />
können.<br />
Für eine erfolgreiche vegetative Ausbreitung bieten<br />
das schnelle Wurzelwachstum und die äußerst regenerationsfähigen<br />
Wurzeln gute Voraussetzungen.<br />
Kleinste Wurzelstücke, die z. B. <strong>von</strong> Bodenbearbeitungsgeräten<br />
verschleppt werden, können neue Triebe<br />
bilden.<br />
Grundlage für eine erfolgreiche generative Ausbreitung<br />
ist zunächst der Befruchtungserfolg der diözischen<br />
Art. Dazu sind ein ausgewogenes Verhältnis<br />
zwischen weiblichen und männlichen Trieben und<br />
eine für Insekten überwindbare Distanz zwischen<br />
beiden nötig. Beide Voraussetzungen sind meist gegeben,<br />
so dass im Mittel 15.000 gut entwickelte Achänen<br />
pro m² gebildet werden. Etwa die Hälfte da<strong>von</strong><br />
verlässt das Distelköpfchen zusammen mit einem<br />
Pappus. Dass diese generativen Diasporen zur anemochoren<br />
Fernausbreitung fähig sind, konnte in verschiedenen<br />
Samenfallenversuchen nachgewiesen<br />
werden. Eine Modellierung dieses Ausbreitungsprozesses<br />
ist wegen der komplexen Strömungsverhältnisse<br />
während des Fluges allerdings schwierig.<br />
Die eigentlichen Schwierigkeiten bei der Neubesiedlung<br />
<strong>von</strong> Standorten scheinen für C. arvense weniger<br />
in der Ausbreitung als in der Keimung und Etablierung<br />
zu liegen. Die optimale Keimtemperatur des<br />
Lichtkeimers liegt bei 25-30°C. Im Freiland werden<br />
relativ selten Keimlinge beobachtet.<br />
Nach Hodgson und Grime (1990) sind es vor allem<br />
die Arten mit einem hohen Ausbreitungspotential in<br />
Raum und Zeit, die sich erfolgreich in unserer heutigen<br />
Kulturlandschaft behaupten. Die Acker-Kratzdistel<br />
kombiniert diese räumliche Ausbreitungsfähig-<br />
1<br />
Lehrstuhl für Grünlandlehre, TU-München-Weihenstephan, D-<br />
85350 Freising<br />
2<br />
Lehrstuhl für Vegetationsökologie, TU-München-Weihenstephan,<br />
D-85350 Freising<br />
keit mit einer weiten ökologischen Amplitude und<br />
ausdauernden, regenerationsfreudigen Wurzeln, wodurch<br />
ihre Populationen besser an häufige und intensive<br />
Störungen angepasst sind als die der meisten<br />
anderen Ackerwildpflanzen.<br />
Einleitung<br />
1929 schreibt Gustav Hegi in der illustrierten Flora<br />
<strong>von</strong> Mitteleuropa über die Acker-Kratzdistel: „Sie ...<br />
tritt bisweilen in solchen Mengen auf, dass im Frühsommer<br />
zur Feldbereinigung ganze Wagenladungen<br />
weggefahren werden.“ Er bewertet die Art als eines<br />
der „lästigsten landwirtschaftlichen Unkräuter“. Erste<br />
Vegetationsaufnahmen aus den 30er bis 50er Jahren<br />
bestätigen diese Angaben (Tüxen 1937, Oberdorfer<br />
1957). Für die Zeit zwischen den 60er und 90er Jahren<br />
belegen dann Untersuchungen zur Veränderung<br />
der Wildpflanzenvegetation aus mehreren Teilen<br />
Deutschlands einen deutlichen Rückgang der Vorkommen<br />
(Albrecht 1995). Maßgeblich beteiligt an<br />
dieser Entwicklung war sicher die große Effizienz der<br />
seit Ende der 50er Jahre eingesetzten Herbizide (Koch<br />
und Hurle 1978). Es gibt Hinweise darauf, dass seit<br />
Beginn der 90er Jahre die Art zumindest regional<br />
wieder zunimmt. Als Ursachen werden die Flächenstilllegung<br />
(Hintzsche und Pallutt 1995), reduzierte<br />
Bodenbearbeitung (Staniforth und Wiese 1985, Hintzsche<br />
und Pallutt 1995), Veränderungen im Spektrum<br />
eingesetzter Herbizide (Häni und Zürcher 2000) und<br />
der ökologische Landbau (Belde et al. 2002) genannt.<br />
Da im ökologischen Landbau die Auswahl an Regulierungsmöglichkeiten<br />
gegenüber konventionellen<br />
Systemen deutlich eingeschränkt ist, muss die gesamte<br />
Bewirtschaftung darauf ausgerichtet sein, die Ausbreitung<br />
und Etablierung <strong>von</strong> C. arvense zu verhindern.<br />
Dafür sind detaillierte Kenntnisse zur Populationsökologie<br />
nötig. Deshalb soll die vorliegende Arbeit<br />
einen Überblick über den Kenntnisstand zur Ausbreitungsbiologie<br />
der Acker-Kratzdistel geben. Den<br />
Schwerpunkt bilden dabei neuere Untersuchungen aus<br />
Mitteleuropa. Ergänzt wird der Beitrag durch Angaben<br />
zum Stoffhaushalt <strong>von</strong> C. arvense <strong>von</strong> Hartl<br />
(2003).<br />
Standortansprüche und Verbreitung<br />
C. arvense weist eine besonders breite ökologische<br />
Amplitude auf. Dies wird <strong>von</strong> Tab. 1 belegt. Praktisch<br />
alle Standorte können besiedelt werden. Nur auf trockenen<br />
und nährstoffarmen Sanden wurden geringere<br />
Frequenzen und eine reduzierte Vitalität beobachtet.