Jubiläen 2007 - Universitätsarchiv Leipzig - Universität Leipzig
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die Vereinigten Staaten nutzte. Sigerist machte dort einen so ausgezeichneten<br />
Eindruck, dass die Fakultät ihn einstimmig zu Welchs Nachfolger wählte.<br />
In Deutschland fand Sigerist eine völlig veränderte politische Situation vor. Er<br />
wusste, dass er bei einer Machtübernahme Hitlers nicht in Deutschland bleiben<br />
konnte, denn er hatte u. a. im Sommer 1926 in Weimar an der Tagung der <strong>Universität</strong>s-Professoren<br />
zur Unterstützung der Republik teilgenommen und war Mitherausgeber<br />
der Neuen Blätter für den Sozialismus. Zum Bedauern der <strong>Leipzig</strong>er<br />
Fakultät zögerte Sigerist daher nun nicht mehr, den Ruf nach Baltimore anzunehmen,<br />
wo er sich bemühen wollte, „im fernen Land eine Zelle der deutschen Wissenschaft“<br />
aufzubauen. Seinen Schüler, den Privatdozenten Owsei Temkin, dem<br />
kurz darauf die Venia legendi entzogen wurde, nahm Sigerist mit nach Baltimore<br />
und konnte später auch anderen seiner Schüler und Kollegen, die vor den Nazis<br />
geflohen waren, beim beruflichen Neuanfang in den USA helfen.<br />
Nach der Anzahl seiner Publikationen, der Vielfalt der Themen und nach Sigerists<br />
öffentlicher Wirkung waren die Jahre in den USA seine fruchtbarste<br />
Zeit. Sowohl das Institut in Baltimore als auch die American Association for the<br />
History of Medicine vermochte er nach seinen hohen wissenschaftlichen Standards<br />
zu transformieren. Bereits nach Übernahme des <strong>Leipzig</strong>er Instituts hatte<br />
Sigerist sich vorgenommen, die Medizingeschichte auch unter soziologischen<br />
Gesichtspunkten zu bearbeiten. In diesem Zusammenhang war er zu der Überzeugung<br />
gekommen, dass ein staatliches System des Gesundheitsschutzes ein<br />
Erfordernis der Zukunft sei. Durch sein Buch „Socialized Medicine in the Soviet<br />
Union“ (1937) und sein vielfältiges gesundheitspolitisches Engagement erwarb<br />
er sich in den USA jedoch nicht nur Freunde, und im November 1943 lud man<br />
ihn vor die Civil Service Commission mit dem Vorwurf kommunistischer Betätigung.<br />
Mit dieser Begründung hatten ihn bereits seine deutschen Kollegen aus<br />
der „Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und<br />
Technik“ ausgeschlossen.<br />
Nach seinem Rücktritt als Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin an der<br />
Johns Hopkins University lebte Sigerist seit 1947 in Pura im Tessin (Schweiz),<br />
wo er am 17. März 1957 starb.<br />
Den Antrag der <strong>Leipzig</strong>er Medizinischen Fakultät, in der Nachfolge Walter von<br />
Brunns wieder das Direktorat des <strong>Leipzig</strong>er Instituts zu übernehmen, hatte er<br />
1950 aus gesundheitlichen Gründen mit Bedauern ablehnen müssen.<br />
Ingrid Kästner<br />
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