Jubiläen 2007 - Universitätsarchiv Leipzig - Universität Leipzig
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chen, dass man ein solch hart Urteil hat gesprochen? Was ist der Grund, in was<br />
für Missetaten bist du geraten?’ Strophe um Strophe. Kein Lied hätte besser in<br />
die Situation gepasst. Plötzlich weiß ich, wer da bläst und wo es ist: Das sind<br />
meine Studenten mit ihren Posaunen! Sie grüßen ihren gefangenen Pfarrer! Und<br />
sie haben es sich überlegt, wie das am besten zu machen sei. Sicher blasen sie<br />
in einem der Räume der Theologischen Fakultät, die keine fünfzig Meter von<br />
hier im rechten Winkel zum U-Gefängnis des MfS sich befindet, und zwar bei<br />
geöffnetem Fenster, sonst könnte man es nicht so laut und deutlich hören. Ich<br />
bin überwältigt und gehe augenblicklich auf die Knie in Dankbarkeit für dieses<br />
mutige Zeichen der Treue und der Verbundenheit im Glauben.“ Vom 25. bis zum<br />
28. November 1957 dauerte der „öffentliche“ Prozess vor einem ausgesuchten<br />
Publikum gegen Schmutzler wegen des Vorwurfs der „Boykotthetze“, an dessen<br />
Ende er zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.<br />
Am 16. Dezember wird Schmutzler in die Vollzugsanstalt Torgau verlegt. Für<br />
ein Jahr lang hält man ihn dort streng isoliert. Er schreibt darüber: „Zu untätiger<br />
Einzelhaft verurteilt zu sein, das ist in der Tat die schlimmste Strafe, die einem<br />
Menschen widerfahren kann. Man tut das, um einen Menschen innerlich zu zerbrechen<br />
[...] Aber untätige Einzelhaft ist wie eine Vivisektion, ein langsames<br />
Zerschneiden und Zerdrücken der Menschlichkeit des Menschen.“ Später wird<br />
er in Mehrpersonen-Zellen verlegt. Arbeiten darf er erst wenige Wochen vor seiner<br />
Entlassung. Diese erfolgt – nachdem er zunächst nicht von der Amnestie<br />
anlässlich der Wahl Ulbrichts zum Staatsratsvorsitzenden berücksichtigt worden<br />
war – endlich am 18. Februar 1961, vermutlich nach einer Erklärung der noch<br />
gesamtdeutschen EKD-Synode zu seinen Gunsten und weiterer Interventionen<br />
für seine Freilassung.<br />
Die langen und harten Jahre der Haft hatten Schmutzler nicht zerbrochen. Vielleicht<br />
hatten sie ihn härter gegen sich selbst und gelegentlich auch gegen andere<br />
gemacht. Es war ihm aber möglich, bald nach seiner Freilassung die landeskirchliche<br />
Pfarrstelle eines theologisch-pädagogischen Fachberaters zu übernehmen,<br />
die er künftig mit großem Einsatz und hoher Kompetenz ausfüllte. Dabei war<br />
ihm die katechetische Ausbildung aller künftigen Pfarrerinnen und Pfarrer der<br />
Landeskirche während ihres Vikariats übertragen worden. Außerdem hatte er<br />
konzeptionell die gemeindepädagogische Entwicklung in der sächsischen Landeskirche<br />
zu verantworten und Arbeitsgruppen zu initiieren, die Lehrpläne und<br />
Unterrichtsentwürfe, Modelle für Familiengottesdienste und vieles andere mehr<br />
zu erstellen hatten. Zugleich war er als nebenamtlicher Dozent für Katechetik am<br />
Theologischen Seminar <strong>Leipzig</strong> tätig, einer Kirchlichen Hochschule, an der u.a.<br />
auch junge Menschen Theologie studieren konnten, die aus politischen Grün-<br />
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