Recht und Urteile - WMD Brokerchannel
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9. Zu den Anforderungen an eine Nachbearbeitungspflicht<br />
eines Versicherers<br />
bei notleidenden (stornogefährdeten)<br />
Versicherungsverträgen<br />
(BGH, Urt. v. 28.06.2012, VII ZR 130/11)<br />
Sachverhalt<br />
Ein Versicherer verlangt von einem für ihn vormals<br />
tätigen Mehrfachagenten die Rückzahlung von<br />
Provisionsvorschüssen für eine Reihe von Versicherungsverträgen.<br />
Der Versicherer begründet seinen<br />
Anspruch damit, dass die vom Mehrfachagenten<br />
vermittelten Vertragsverhältnisse nach Beendigung<br />
des Versicherungsvertretervertrages storniert worden<br />
sind. Bis zum Ausscheiden des Mehrfachagenten<br />
habe der Vertriebspartner selbst rechtzeitig<br />
Mitteilungen über stornogefährdete Verträge erhalten.<br />
Nach seinem Ausscheiden habe der Versicherer<br />
eigene Stornoabwehrmaßnahmen getroffen, die<br />
aber erfolglos geblieben seien.<br />
Entscheidung<br />
Bekanntlich entfällt der Anspruch des Handels-<br />
bzw. Versicherungsvertreters auf Provision im Fall<br />
der Nichtausführung des Geschäfts durch den Unternehmer,<br />
wenn <strong>und</strong> soweit die Nichtausführung<br />
auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht<br />
zu vertreten sind. Eine Stornierung eines Vertrages<br />
ist bereits dann vom Versicherer nicht zu vertreten,<br />
wenn notleidende Verträge in gebotenem Umfang<br />
nachbearbeitet wurden.<br />
Art <strong>und</strong> Umfang der dem Versicherer obliegenden<br />
Nachbearbeitung bestimmt sich nach den Umständen<br />
des Einzelfalls. Entweder kann das Versicherungsunternehmen<br />
eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr<br />
ergreifen oder sich darauf beschränken,<br />
dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung<br />
Gelegenheit zu geben, den notleidend<br />
gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten.<br />
Die Beweislast dafür, dass eine ordnungsgemäße<br />
Nachbearbeitung eines notleidenden Versicherungsvertrages<br />
vorgenommen wurde, obliegt dem<br />
Versicherer.<br />
Entschließt sich nun ein Versicherer, einer Stornogefahr<br />
durch Versendung von Stornogefahrmitteilungen<br />
an den Versicherungsvertreter entgegenzuwirken,<br />
ist der Versicherer seiner Pflicht zur<br />
Stornogefahrabwehr in ausreichendem Maß nachgekommen,<br />
wenn die Stornogefahrmitteilung den<br />
Versicherungsvertreter in die Lage versetzt, seinerseits<br />
Abwehrmaßnahmen gegen die Stornogefahr<br />
zu ergreifen. Der Versicherer muss die Mitteilung so<br />
RECHT <strong>und</strong> RECHTSPRECHUNG I Stand März 2013<br />
rechtzeitig versenden, dass der Vertreter sich sinnvoll<br />
<strong>und</strong> mit Aussicht auf Erfolg um eine Rettung des Vertrages<br />
bemühen kann.<br />
Ein Versicherer, der den Weg der Stornogefahrmitteilung<br />
wählt, muss sich daher sobald wie es ihm nach<br />
den Umständen möglich <strong>und</strong> zumutbar ist, gegenüber<br />
einem Versicherungsvertreter erklären. Es ist<br />
einem Versicherer dabei gestattet, sich in angemessener<br />
Zeit eine gewisse Klarheit zu verschaffen, ob<br />
Anhaltspunkte für eine Vertragsgefährdung vorliegen.<br />
Es ist ihm des Weiteren gestattet, in dieser Situation<br />
erst eine Entscheidung zu treffen, ob er eigene<br />
Nachbearbeitungsmaßnahmen ergreift oder ob er<br />
sich darauf beschränkt, dem Versicherungsvertreter<br />
eine Stornogefahrmitteilung zu übermitteln.<br />
Nicht ausreichend ist es,<br />
wenn ein Versicherer nur<br />
einem Nachfolger eines<br />
ausgeschiedenen Versicherungsvertreters<br />
die<br />
Stornogefahrmitteilung<br />
übermittelt. In einem solchen<br />
Fall muss ein Versicherer<br />
den Auftrag zur<br />
konkreten Nachbearbeitung<br />
erteilen <strong>und</strong> im<br />
Streitfall darlegen <strong>und</strong><br />
nachweisen. Wenn sich<br />
ein Versicherer auf einen<br />
Erfahrungssatz berufen möchte, nach dem aus der<br />
Erfolglosigkeit bestimmter Rettungsbemühungen<br />
einzelner Verträge auf die Erfolglosigkeit von Rettungsversuchen<br />
auch bei den weiteren Verträgen<br />
geschlussfolgert werden könne, bedarf es hierfür tatsächlicher<br />
Anhaltspunkte. Weil die Instanzgerichte diese<br />
Gr<strong>und</strong>sätze nicht richtig angewandt hatten, hob<br />
der BGH das die Klage des Versicherers abweisende<br />
Urteil auf <strong>und</strong> verwies den <strong>Recht</strong>sstreit zur neuen Entscheidung<br />
zurück.<br />
Fazit<br />
Der BGH hat Unternehmen, die mit Handelsvertretern<br />
zusammenarbeiten, noch einmal im Einzelnen<br />
den Pflichtenkatalog aufgegeben, der bei stornogefährdeten<br />
Verträgen zu beachten ist: Entweder<br />
übermittelt der Prinzipal unverzüglich Stornogefahrmitteilungen,<br />
damit der Handelsvertreter selbst<br />
Maßnahmen zur Rettung notleidender Verträge<br />
einleiten kann oder er ergreift eigene Maßnahmen,<br />
die er dann entsprechend belegen muss. Die bloße<br />
Versendung einer Stornogefahrmitteilung an den<br />
Nachfolger eines ausgeschiedenen Handelsvertreters<br />
ist hingegen keine ausreichende Maßnahme der Stornogefahrenabwehr.<br />
Bildquelle: © Spencer - Fotolia.com<br />
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