Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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von den Hauptbahnhöfen, sondern von den außerhalb der <strong>Stadt</strong> gelegenen Rangierbahnhöfen. Und nun<br />
nur noch eine Frage: Wie nimmt die Bevölkerung im allgemeinen die Durchführung des Gesetzes auf?«<br />
»Mit größter Begeisterung natürlich! <strong>Die</strong> Polizei läßt hundert geschickte Agenten sich anonym in die<br />
Volksmengen mischen und Beobachtungen sammeln. Nun, die Berichte gehen übereinstimmend dahin,<br />
daß die christliche Bevölkerung sich geradezu in einem Freudentaumel befindet, eine baldige Sanierung<br />
der Verhältnisse, Verbilligung der Lebensmittel und gleichmäßigere Verbreitung des Wohlstandes<br />
erwartet. Auch innerhalb der noch sozialdemokratisch organisierten Arbeiterschaft ist die Befriedigung<br />
über den Fortzug der <strong>Juden</strong> groß. Aber andererseits läßt sich nicht verhehlen, daß die Bevölkerung erregt<br />
und unsicher ist. Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird, die Massen leben in den Tag hinein, eine<br />
ganz staunenswerte Verschwendungssucht in den unteren Klassen macht sich bemerkbar und die Zahl<br />
der Trunkenheitsexzesse mehrt sich von Tag zu Tag.<br />
Zur Gehobenheit der Stimmung trägt aber sehr wesentlich der Umstand bei, daß die Wohnungsnot mit<br />
einem Schlage aufgehört hat. Allein in Wien sind seit Beginn des Monates Juli vierzigtausend<br />
Wohnungen, die bisher <strong>Juden</strong> innehatten, frei geworden. Eine direkte Folge davon ist, daß eine wahre<br />
Hochflut von Trauungen eingesetzt hat und die Priester zehn und zwanzig Paare gleichzeitig einsegnen<br />
müssen.«<br />
Schwertfeger, der Junggeselle geblieben war, nickte befriedigt lächelnd. »Damit wären wir also für heute<br />
fertig. Ich bin nun halbwegs im Bilde und werde jetzt die Referate der einzelnen Bundesministerien<br />
durchstudieren.«<br />
Ein Kopfnicken und der Präsidialchef war entlassen. Fronz blieb aber noch stehen und lenkte die<br />
Aufmerksamkeit des Kanzlers, der schon ein Aktenfaszikel aufgeschlagen hatte, durch diskretes<br />
Räuspern auf sich.<br />
»Ich möchte Exzellenz noch darauf aufmerksam machen, daß der Wiener Gemeinderat mit großer<br />
Stimmenmehrheit beschlossen hat, den Schottenring in Doktor-Karl-Schwertfeger-Ring umzutaufen und<br />
daß seitens dreihundert österreichischer Gemeinden ähnliche Umtaufungen von Plätzen und Straßen<br />
beschlossen wurden. In Innsbruck hat sich sogar ein Denkmalkomitee gebildet, das Eurer Exzellenz im<br />
nächsten Jahr schon ein Denkmal aus Laaser Marmor errichten will.«<br />
Der Kanzler stand auf, ging zum Balkon, sah wieder auf den Volksgarten hinab, schritt mit wuchtigen<br />
Tritten schwer und plump zweimal durch den großen Raum und sagte dann:<br />
»Inhibieren Sie alle solche Ehrungen! Sie sollen verschoben werden bis zum zehnjährigen Jubiläum der<br />
Befreiung Wiens von den <strong>Juden</strong>!«