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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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20. Kapitel<br />

Das <strong>Juden</strong>gesetz fällt<br />

Als Leo das Parlamentsgebäude betrat, hatte der neugewählte Präsident eben die schon am Tage vorher<br />

an Stelle des zurückgetretenen Kabinetts gewählten Minister begrüßt und mitgeteilt, daß zwei<br />

Dringlichkeitsanträge eingebracht worden seien, dahingehend, den Paragraph II der Bundesverfassung,<br />

der den <strong>Juden</strong> und <strong>Juden</strong>abkömmlingen den Aufenthalt in Österreich untersagt, zu streichen.<br />

Ein sozialdemokratischer Nationalrat erhob sich und stellte den Antrag, über die gestellten<br />

Dringlichkeitsanträge sofort zu verhandeln. Trotz des tosenden Lärmens der Christlichsozialen und<br />

Großdeutschen pflichtete die Mehrheit bei, worauf der Präsident dem Führer der Sozialdemokraten,<br />

Dr. Wolters, als erstem Proredner das Wort erteilte.<br />

Wolters wies darauf hin, daß er und seine Parteikollegen schon vor fast drei Jahren gegen das Gesetz<br />

gewesen seien, das einen Faustschlag gegen die Menschenrechte, einen Rückfall in das finstere<br />

Mittelalter bedeutete. Damals sei die Opposition niedergeschrien, beschimpft und aus dem Saal gedrängt<br />

worden, heute aber habe das verführte und berauschte Volk sie in solcher Zahl zurückgeführt, daß<br />

nunmehr die Macht in ihren und den Händen anderer freisinniger Männer liege. Wolters entwickelte<br />

dann die Ereignisse der letzten Jahre, wies den furchtbaren Zusammenbruch Österreichs nach, führte<br />

schlagende Ziffern an und schloß mit den Worten:<br />

»Das kühne, allzu kühne Werk des Mannes, der sich göttliche Macht anmaßte und nun nicht einmal mehr<br />

einen Sitz in diesem Hause bekommen konnte, ist zusammengebrochen, und draußen warten<br />

hunderttausend Arbeitslose und mit ihnen alle tätigen, zur Verzweiflung getriebenen Kräfte, daß das<br />

neue Haus einer neuen Zukunft die Tore öffne und unseren jüdischen Mitbürgern die Möglichkeit gebe,<br />

wieder an unserer Seite nicht gegen uns, sondern mit uns ihre Intelligenz, ihre Emsigkeit und<br />

schöpferische Arbeitskraft im Interesse des schwergeprüften und fast ruinierten Landes zu betätigen.«<br />

Nachdem der Beifallssturm, an dem sich auch die Galerie beteiligte, verklungen war, ergriff der zweite<br />

Proredner, Herr Habietnik, der von den Geschäftsleuten der Inneren <strong>Stadt</strong> sein Mandat bekommen hatte,<br />

das Wort. In launiger, oft durch schallende Heiterkeit unterbrochener Rede schilderte er das verarmte,<br />

verdorfte Wien von heute, gab die Erfahrungen im eigenen Betriebe zum besten und sagte:<br />

»Posemukel ist eine Großstadt im Vergleiche zu Wien von heute. Wien ist ein ungeheures Dorf mit<br />

anderthalb Millionen Einw<strong>ohne</strong>rn geworden, und wenn wir die <strong>Juden</strong> nicht wieder hereinlassen, so<br />

werden wir es demnächst erleben, daß statt vornehmer Geschäfte in der Kärntnerstraße Jahrmarktsbuden<br />

stehen und auf dem Stephansplatz Viehmärkte werden abgehalten werden. <strong>Die</strong> Wiener sind in ihrem<br />

Tiefinnersten in Verzweiflung über diese Rückentwicklung, die sie nicht aufhalten können und nicht

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