Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
11. Kapitel<br />
Eine erregte Debatte<br />
Als der Sommer vorüber war und der Herbst die Blätter färbte, begann in fast schon gewohnter Weise die<br />
Krone neuerlich zu fallen und die Teuerung anzusteigen. <strong>Die</strong> Preise wurden phantastisch, selbst reiche<br />
Leute scheuten die Anschaffung eines neuen Kleidungsstückes, die Arbeiter, die Angestellten, ja auch<br />
die Arbeitslosen stellten neue Forderungen, eine Fahrt auf der Straßenbahn kostete schon zehntausend<br />
Kronen und ein Kilogramm Butter zweihunderttausend.<br />
Unter allgemeiner Verbitterung, Nervosität und Unruhe trat im Oktober die Nationalversammlung<br />
zusammen, und das Gesicht des Kanzlers Dr. Schwertfeger sah zerklüftet, durchfurcht, vergrämt aus. Als<br />
er sprach, herrschte nicht jene weihevolle Ruhe wie früher, sondern es wurden Rufe,<br />
Zwischenbemerkungen laut, sogar die Galerie machte sich durch »Oho«-Rufe bemerkbar, und die kleine<br />
Opposition der Sozialdemokraten ließ sich nicht mehr einschüchtern, sondern griff immer wieder in die<br />
Debatte ein.<br />
Schwertfeger gab einen Überblick über die trostlose finanzielle Lage des Landes und fuhr dann fort:<br />
»Ich muß es rund heraussagen: Große und schwere Opfer stehen der christlichen Bevölkerung<br />
Österreichs bevor. (Zwischenruf von der Galerie: Natürlich nur den Christen, da wir ja die <strong>Juden</strong><br />
hinausgeschmissen haben!) Opfer, die mit Mannesmut und Bürgertreue geleistet werden müssen! <strong>Die</strong><br />
Regierung braucht zur Fortführung der Geschäfte Geld, und da wir vom Auslande keine weiteren Kredite<br />
bekommen können, müssen wir die Unsummen, die die Verwaltung, die Verzinsung der Schulden und<br />
die Unterstützung der Arbeitslosen verschlingt, durch neue Steuern, direkte und indirekte, hereinbringen.<br />
(Große Unruhe im ganzen Hause.)<br />
Meine Herren und Damen, ich weiß, daß die Bevölkerung schwer enttäuscht ist und ich bin es mit ihr.<br />
Wir alle haben eben die Schwierigkeiten der Übergangswirtschaft unterschätzt, wir alle dachten, daß die<br />
christlichen Bürger sich besser auf die Beherrschung der Finanzen und des Geschäftslebens einstellen<br />
würden, die ganz in Händen der <strong>Juden</strong> waren. Aber was sind solche Enttäuschungen gegenüber dem<br />
ungeheuren Ziel, das wir uns gesteckt haben, dem Ziel, Österreich seiner arischen Bevölkerung<br />
wiederzugeben, ein Land aufzurichten, das frei von Wuchergeist, frei von jüdischem Skeptizismus, frei<br />
von jenen zersetzenden Eigenschaften und Elementen ist, die das <strong>Juden</strong>tum repräsentieren!«<br />
Zum Schluß stellte der Kanzler mit erhobener Stimme die Vertrauensfrage.<br />
Im Namen der kleinen sozialistischen Fraktion sprach Dr. Wolters gegen die Kreditgewährung, gegen die<br />
Gutheißung der Regierungspläne, gegen das Vertrauensvotum. In krassen Farben schilderte er die