06.11.2013 Aufrufe

Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Die</strong>ser hob sie zu sich empor, küßte sie auf die Nasenspitze und lachte wieder aus vollem Halse.<br />

»Na, Tschapperl, verstehst du noch immer nicht? Der Bund der wahrhaftigen Christen, der seit Wochen<br />

Wien verrückt macht, bin ich! Und ich werde nicht aufhören, bevor nicht der große Wirbel eingetreten<br />

ist. <strong>Die</strong> zwei neuen Plakate werden wirken, sag' ich dir! Das sind meine Gas-, Stink- und Leuchtbomben,<br />

mit denen ich töte, ersticke und erleuchte.«<br />

Lotte zitterte.<br />

»Leo, wenn du dabei erwischt wirst, so ist es um dich geschehen!«<br />

»Wenn, wenn! Aber man wird nicht! Ich habe eine wunderbare Technik beim Befestigen der Zettel! Ich<br />

schlendere morgens an einem Tor oder einer Wand vorbei, und im Gehen, <strong>ohne</strong> auch nur eine Sekunde<br />

mich aufzuhalten, treibe ich den Nagel ein, an dem der Zettel schon hängt! Und selbst, wenn die Polizei<br />

die Zettel wenige Minuten später wieder abreißt, so schadet das nicht, weil die »Arbeiter-Zeitung« den<br />

Inhalt schon abgedruckt hat. Verlaß dich auf mich, mein Lieb, es muß das geschehen, ich gehe einen<br />

genau vorgezeichneten Weg und nehme mich <strong>ohne</strong>dies höllisch in acht.«<br />

Lotte saß auf dem großen Zeichentisch, baumelte mit den schlanken Beinen und sagte nachdenklich:<br />

»Weißt du, Leo, du hast schon sehr viel erreicht, glaube ich. Gestern war bei uns größere Gesellschaft.<br />

Zehn Herren und Damen waren da und es wurde fast ununterbrochen von der <strong>Juden</strong>ausweisung und ihren<br />

Folgen gesprochen. Und alle, darunter auch der Hofrat Tumpel, waren darin einig, daß man sich mit der<br />

Ausweisung eines Teiles der Ostjuden, und zwar jenes Teiles, der eine anständige Beschäftigung nicht<br />

nachweist, hätte begnügen müssen. Hofrat Tumpel, der vor einem Jahr noch wütend wurde, wenn man<br />

mit dem Bundeskanzler nicht ganz einverstanden war, sagte schließlich:<br />

›Ja, ja, es scheint, als wenn man da in einen höchst komplizierten Mechanismus allzu brutal eingegriffen<br />

hätte! Gewisse nicht zu unterschätzende jüdische Eigenschaften fehlen uns ganz bedenklich!‹<br />

Dazu ist allerdings zu bemerken, daß der Bruder des Hofrates die Buchhandlung in der Seilergasse<br />

besitzt, die sich nur mit dem Vertrieb von Luxusbüchern und Kunstdrucken befaßt. Seit die <strong>Juden</strong> weg<br />

sind, macht er gar keine Geschäfte mehr und sein Bruder, der Hofrat, hat schon zweimal große Summen<br />

opfern müssen, um ihn vor dem Bankerott zu bewahren. Und noch etwas, Leo: Ich halte doch immer, in<br />

der Früh, wenn ich einkaufe, und im Konzert und in der Oper und der Straßenbahn die Augen und Ohren<br />

offen. Und ich höre, wie die Leute immer mehr mit Wehmut an die Vergangenheit zurückdenken und<br />

von ihr wie von etwas sehr Schönem sprechen. ›Damals, wie die <strong>Juden</strong> noch da waren‹, das kann man<br />

täglich zehnmal in allen Tonarten, nur in keiner gehässigen, hören. Weißt du, ich glaub', die Leute<br />

bekommen ordentlich Sehnsucht nach den <strong>Juden</strong>!«<br />

Leo preßte das kluge Mädchen an sich. »Und ich will das Meinige tun, um diese Sehnsucht<br />

unwiderstehlich zu machen.«

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!