Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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Lotte erwiderte die Liebe des lebhaften, geistvollen, begabten jungen Mannes von ganzem Herzen.<br />
Hofrat Spineder sah die Entwicklung dieser Liebe und hatte nichts einzuwenden. Leo Strakosch war<br />
Radierer, in jungen Jahren schon ganz außerordentlich erfolgreich, man begann sich um seine<br />
Zeichnungen zu reißen, eine vor einem Jahr erschienene Leo-Strakosch-Mappe erregte Aufsehen auch im<br />
Ausland, und der Hofrat wie seine Frau sagten sich mit Recht, daß sie ihr Kind in keine besseren Hände<br />
würden geben können als in die Leos, den sie nach und nach liebten wie ihren eigenen Sohn. Daß Leo<br />
Jude war, focht den Hofrat nicht im mindesten an. In seinem Hause verkehrten viele Musiker, Literaten,<br />
Maler, die Mehrzahl von ihnen waren <strong>Juden</strong>, und der verstorbene Rechtsanwalt Viktor Rosen war sogar<br />
der intimste Freund Spineders gewesen.<br />
Als vor Jahresfrist zuerst in politischen Kreisen von dem Plan des Führers der Christlichsozialen, ein<br />
Antijudengesetz durchzubringen, geraunt wurde, hatte Hofrat Spineder daran nicht glauben wollen und<br />
können. Und als er daran glauben mußte, war seine Empörung maßlos gewesen. Und noch größer sein<br />
Schmerz über den Schicksalsschlag, den die bevorstehende Ausweisung Leos für seine Tochter<br />
bedeutete. Den Gedanken aber, seine Lotte mit Leo ins Exil ziehen zu lassen, wies er weit von sich, die<br />
Liebe zu seinem einzigen Kinde und der Egoismus des Alternden vereinigten sich hier und machte ihn<br />
absolut unerbittlich.<br />
<strong>Die</strong> Bescherung war sehr reichlich ausgefallen, Lotte von den Eltern freigebig bedacht worden, aber sie<br />
schenkte dem Pelzkragen, den Seidenstrümpfen, den Büchern und Noten kaum einen Blick, sondern<br />
preßte immer wieder das kleine Bild Leos, das er ihr in einem goldenen Medaillon geschenkt, an die<br />
zuckenden Lippen. Man saß nun beim festlich geschmückten Tisch, aber es herrschte eher Trauer als<br />
Feststimmung und vergeblich versuchte der Hofrat ein leichtes Gespräch zu entwickeln. Als dann der<br />
selbstgekelterte goldgelbe Wein kredenzt wurde, erhob Hofrat Spineder sein Glas und sagte mit bewegter<br />
Stimme:<br />
»Dein Wohl, Leo! Möge das Glück dich auch in der Fremde begleiten, möge das Schicksal in absehbarer<br />
Zeit uns alle wieder vereinigen! Kinder, ich weiß, daß ihr mir grollt und ich kann doch nichts tun, als mit<br />
euch leiden. Seht, Mutter und ich haben den besten Teil des Lebens hinter uns, ich stehe an der Schwelle<br />
des Greisenalters, und so ist es doch nur natürlich, wenn wir uns mit allen Fasern dagegen sträuben, den<br />
letzten Sonnenstrahl, der uns noch leuchtet, fortziehen zu lassen. Aber selbst wenn wir solcher schier<br />
übermenschlicher Selbstlosigkeit fähig wären, würde mich das Pflichtgefühl davon abhalten. Lebten wir<br />
in normalen Zeiten, so ließ ich euch ziehen und würde sagen, daß wir ja schließlich alljährlich ein paar<br />
Monate bei euch in Paris zubringen können. Aber das ist heute unmöglich, da die Krone fast wertlos ist.<br />
Nur Spekulanten können sich noch solchen Luxus leisten, und ihr wißt, daß wir in guten geordneten<br />
Verhältnissen leben, aber doch mit jedem Tausendkronenschein rechnen müssen. Würde Lotte jetzt mit<br />
dir in die Fremde gehen, so müßte sie das Elternhaus für immer verlieren. Und nicht nur sie, sondern<br />
auch euere Kinder wären entwurzelt, vaterlandslos, würden nicht wissen, wo ihre Großeltern in der Erde<br />
ruhen. Und wer weiß, es würde der Tag vielleicht kommen, wo du, Lotte, von solcher Heimatssehnsucht<br />
erfüllt wärest, daß sie deine Liebe zum Gatten verdrängen und dein ganzes Wesen sich in einen bitteren<br />
Vorwurf gegen den, dem du in die Verbannung gefolgt, wandeln würde. Ihr seid beide jung, du, Lotte,<br />
bist fast noch ein Kind, du Leo, ein Jüngling und das ganze Leben liegt vor euch. Lasset ein paar Jahre