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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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folgte dem anderen und immer wieder zogen die Massen vor das Rathaus oder das Kanzlerpalais, um den<br />

Bürgermeister Laberl und dem Dr. Schwertfeger zu huldigen. Mir selbst ist es aufgefallen, daß die<br />

Wiener in der Elektrischen viel freundlicher und netter waren als vorher, und der Hofrat Tumpel, der bei<br />

uns verkehrt, Du weißt, der mit dem blonden Vollbart, den Du nie leiden mochtest, sagte triumphierend<br />

zu uns:<br />

›Sehen Sie, das Wiener sonnige Gemüt, das so lange von all dem Fremden überschattet worden war,<br />

bricht sich wieder Bahn.‹<br />

›Ja, Schnecken‹, brummte der Vater, ›das ist nur, weil den Wienern das Ganze eine Riesenhetz ist und<br />

weil die Lebensmittel billiger und wieder Wohnungen zu haben sind.‹ Tumpel meinte aber: ›Oho, lieber<br />

Freund, das ist es nicht allein, sondern die indogermanische Naivität unseres Volkes wagt sich wieder<br />

heraus!‹<br />

<strong>Die</strong> Lebensmittel waren wirklich viel billiger geworden, weil unsere Krone damals sehr gut stand. Ich<br />

erinnere mich, daß Mama im Winter einmal ganz froh nach Hause kam und sagte, man könne jetzt<br />

wieder existieren, das Schweineschmalz kostet nur mehr vierzigtausend Kronen per Kilogramm. Und das<br />

mit den Wohnungen hat den Wienern wirklich so viel Freude gemacht. Stelle Dir nur vor: Plötzlich<br />

hingen fast an allen Haustoren Zettel, auf denen Wohnungen und möblierte Zimmer angeboten wurden.<br />

<strong>Die</strong> Leute gingen rein zum Zeitvertreib von Haus zu Haus, um die Wohnungen zu besichtigen. Und den<br />

ganzen Tag sah man Möbelwagen durch die Straßen fahren.<br />

Das dauerte so bis zum Fasching, aber dann war die gute Laune weg. Plötzlich begann große<br />

Arbeitslosigkeit zu herrschen. <strong>Die</strong> ganze Konfektionsindustrie stand still, und jeden Augenblick hörte<br />

man, daß dieses oder jenes Geschäft abgekracht sei. <strong>Die</strong> Blätter schrieben, man müsse die ehrlichen<br />

christlichen Kaufleute, die die alten jüdischen Geschäfte übernommen hatten und ihrer Aufgabe noch<br />

nicht gewachsen seien, von Staats wegen unterstützen. <strong>Die</strong> Arbeitslosen machten aber großen Krawall,<br />

zogen über den Ring, demolierten ein paar Geschäfte, schlugen Fensterscheiben ein und setzten es durch,<br />

daß ihnen der Staat zehntausend Kronen täglich Arbeitslosenunterstützung zahlte. Da begann die Krone<br />

zu fallen, weil, wie Papa mir erklärte, der Banknotenumlauf enorm stieg. Auf ja und nein stand die Krone<br />

wieder tiefer als je und die Lebensmittel wurden wieder so teuer und noch teurer als früher. Heute<br />

erzählte Mama ganz aufgeregt, daß die Butter schon hundertfünfzigtausend Kronen kostet. Seit dem<br />

Frühjahr sind die Leute wieder sehr mürrisch und in der Elektrischen wird viel geschimpft.<br />

Hauptsächlich auf die Schieber, die alles verteuern, aber man spricht nicht von jüdischen Schiebern,<br />

sondern nur so im allgemeinen.<br />

Du fragst, ob ich viel ins <strong>The</strong>ater gehe? Ach nein, lieber Leo, wenn man die Oper ausnimmt, so ist in den<br />

<strong>The</strong>atern gar nichts mehr los. In den Schauspielhäusern wird ununterbrochen Ganghofer und<br />

Anzengruber gespielt, weil man von Israeliten nichts aufführen darf und die Klassiker ja doch nicht<br />

ziehen. Eine Zeitlang hat man auch viel von Shaw gegeben; seitdem er aber in einer englischen Zeitung<br />

erklärt hat, Wien sei ein internationales Dummheitsmuseum geworden, ist er verpönt. Hauptsächlich aber<br />

deshalb, weil er auch gesagt hat, ein gescheiter Jude sei ihm lieber als zehn dumme Christen. <strong>Die</strong>

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