Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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Entwicklung.<br />
Herr Habietnik schüttelte sorgenvoll das Haupt:<br />
»Also die Sozis arbeiten wieder mit Volldampf und werden die Stimmen, die sie das letztemal verloren<br />
hatten, zurückgewinnen. <strong>Die</strong> Christlichsozialen und Großdeutschen haben den Kopf verloren, sind mit<br />
ihrem Programm noch nicht herausgekommen, aber schließlich wird jeder, der nicht Sozialdemokrat ist,<br />
doch für eine der beiden Parteien stimmen müssen.«<br />
»So daß also vielleicht gar das <strong>Juden</strong>gesetz in Kraft bleiben wird?«<br />
»Kann sein, wenn die Sozialisten nicht die Zweidrittelmehrheit, die zu jeder Verfassungsänderung<br />
notwendig ist, bekommen. Denn ich fürchte, daß die Christlichsozialen und Großdeutschen doch nicht<br />
den Mut haben werden, das Ausnahmsgesetz gegen die <strong>Juden</strong> aufzuheben. Das heißt, eigentlich müßte<br />
ich sagen, ich hoffe, denn wenn die <strong>Juden</strong> wiederkommen, so wird man mir am Ende gar das Geschäft<br />
wieder nehmen – –.«<br />
»Unsinn«, erklärte Leo energisch. »Was Sie haben, kann man Ihnen nicht mehr nehmen! Vielleicht, daß<br />
man es Ihnen abkaufen oder daß der frühere Firmeninhaber sich mit Ihnen zu einer Teilhaberschaft<br />
bequemen würde. <strong>Die</strong> Hauptsache ist aber doch wohl, daß Sie die Jägerhütln und die Lodenröcke wieder<br />
hinausschmeißen und ihre Auslagen so arrangieren können, wie sie einst waren.«<br />
Begeisterung glomm in den Augen Habietniks auf und mit warmem, ehrlichem Ton erwiderte er:<br />
»Jawohl! Das ist die Hauptsache! Wenn ich daran denke, daß hier wieder einmal Leben und Luxus<br />
herrschen könnte, wie einst – nein, das ist ein zu schöner Traum, um wahr zu sein.«<br />
»Hören Sie, Herr Habietnik«, sagte Leo, indem er seine Hand auf den Arm des Kaufmannes legte, »Sie<br />
sind der Mann, um den Traum wahr zu machen! Noch trennen uns Wochen von den Neuwahlen. Das<br />
genügt, um eine bürgerliche Partei, bestehend aus den fortgeschrittenen Elementen, den angesehenen<br />
Kaufleuten, den Gelehrten, Rechtsanwälten, Künstlern und Fabrikanten zu bilden, mit der offenen und<br />
ungeschminkten Parole: Aufhebung des Ausnahmsgesetzes gegen die <strong>Juden</strong>! Nehmen Sie das heute noch<br />
in Angriff, bilden Sie ein zwölfgliedriges Komitee, in dem drei Kaufleute, drei Industrielle, drei<br />
Festangestellte und drei Leute mit freiem, akademischen Beruf sitzen, lassen Sie, da Sie noch keine<br />
Zeitung zur Verfügung haben, zehntausend Plakate drucken, gründen Sie dann Bezirkskomitees,<br />
betreiben Sie Propaganda von Straße zu Straße, von Haus zu Haus und der Erfolg kann nicht ausbleiben.<br />
Ich bin ein Fremder, kenne die Verhältnisse nicht so genau wie Sie, aber dafür bin ich objektiver und ich<br />
weiß ganz sicher, daß ein erheblicher Teil der Bevölkerung die neue Partei stürmisch begrüßen wird.«<br />
Herr Habietnik war Feuer und Flamme. Am selben Abend noch trommelte er ein halbes Hundert<br />
Kaufleute aus der Inneren <strong>Stadt</strong>, Fabrikanten, Rechtsanwälte zusammen, und um ein Uhr morgens war<br />
das Komitee konstituiert, dem ein gemeinsam gezeichnetes Millionenkapital zur Verfügung stand.