Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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»Ja, was sollen wir nun tun«, meinte Herr Windholz kleinmütig, »wenn die Regierung absolut unseren<br />
Wünschen nicht entsprechen will?«<br />
»Was Sie tun sollen? Ich werde es Ihnen sagen! Heute noch trommeln Sie Ihren Verein zusammen und<br />
fassen den Beschluß, der Regierung ein dreitägiges Ultimatum zu stellen. Stellt sie bis dahin die<br />
Freizügigkeit im Wohnungsverkehr nicht wieder her, so wird von den Hausbesitzern gestreikt! Sie führen<br />
keine Steuern ab, unterlassen die Hausbeleuchtung und Reinigung, verweigern die Bezahlung der<br />
Hypothekarzinsen, kurzum, Sie sabotieren den Staat!«<br />
Herr Windholz war begeistert, umarmte den Franzosen und versicherte ihm, daß er keinesfalls im Zinse<br />
gesteigert werden würde.<br />
Es geschah ganz nach dem Programm des Herrn Dufresne. Der Verein der Wiener Hausbesitzer beschloß<br />
einstimmig das Ultimatum und, die Regierung fiel um. Vergebens versicherte Dr. Schwertfeger, daß die<br />
Aufhebung des Mieterschutzgesetzes die unheilvollsten Folgen haben werde, er wurde von seinen<br />
Ministerkollegen überstimmt. Wie die »Arbeiter-Zeitung« boshaft behauptete, in erster Linie deshalb,<br />
weil der Finanzminister, der Unterrichtsminister und der Handelsminister mehrfache Hausbesitzer waren.<br />
Das Mieterschutzgesetz, das den Hausbesitzern sowohl die Kündigung der Mieter als die willkürliche<br />
Erhöhung der Mietpreise untersagte, fiel also, und vierundzwanzig Stunden später fand eine stürmische<br />
Generalversammlung der Hausbesitzer statt, in der beschlossen wurde, die derzeitigen Mietpreise der<br />
Teuerung halbwegs entsprechend auf das Tausendfache zu erhöhen. Eine Art Rütlischwur verpflichtete<br />
zur unbedingten Einhaltung dieses Beschlusses.<br />
<strong>Die</strong> Bevölkerung, die ja nur zum geringsten Teile aus Hausbesitzern besteht, geriet in Tobsucht.<br />
Arbeiterfamilien mußten nunmehr Millionen im Jahre für ihre Wohnung bezahlen, eine kleine<br />
Mittelstandswohnung kostete nicht unter fünfzig Millionen. <strong>Die</strong> Organisation der Hausfrauen, die<br />
Gewerkschaften, der Verband der Festangestellten, die Kriegsinvaliden und Kriegerswitwen, der Bund<br />
der Gewerbetreibenden, sie alle veranstalteten Massendemonstrationen und durch volle acht Tage wurde<br />
in Wien und den Provinzstädten überhaupt nicht gearbeitet, sondern vom Morgen bis in die Nacht<br />
demonstriert. <strong>Die</strong> Zahl der eingeschlagenen Fensterscheiben wuchs erschreckend, und zum erstenmal seit<br />
einer geraumen Anzahl von Jahren hörte man auf der Straße den Ruf:<br />
»Nieder mit der Regierung!«<br />
<strong>Die</strong> christlichen Blätter ebenso wie die deutsch-nationalen verloren massenhaft Leser, während der<br />
Weizen der »Arbeiter-Zeitung« wieder zu blühen begann.