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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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13. Kapitel<br />

Traurige Weihnachten<br />

Traurigere Weihnachten hatte Wien noch nie erlebt. Der ungeheuerlichen Teuerung stand der<br />

vollständige Stillstand des Lebens gegenüber. <strong>Die</strong> Teuerung allein hätte die guten Phäaken nicht<br />

anfechten können. Sie waren sie ja schon seit einem Dezennium gewöhnt, und ob das Viertel Wein nun<br />

zehntausend oder fünftausend Kronen kostete, war schließlich egal, wenn man genug verdiente, wenn der<br />

Arbeiter hohen Lohn bekam und der Kaufmann abends die Kasse voll mit Geld hatte. Jetzt war das aber<br />

nicht mehr der Fall. <strong>Die</strong> enormen Banknotenmassen blieben bei den Bauern liegen, in den Städten<br />

herrschte vollständige Kaufunlust, ein großer Teil der Arbeiter feierte und war auf die staatliche<br />

Unterstützung angewiesen, und in der Weihnachtsnummer veröffentlichten die Zeitungen Statistiken, aus<br />

denen hervorging, daß seit zwei Jahren allein in Wien an die fünftausend Bankfilialen, Kaffeehäuser,<br />

Restaurants und Geschäfte geschlossen hatten. Neuerdings trat ein Riesenkrach nach dem anderen in der<br />

Industrie ein. Aktiengesellschaften, die man noch vor kurzem für bombensicher gehalten hatte, erklärten<br />

sich insolvent und man sprach sogar von dem baldigen Zusammenbruch zweier Großbanken.<br />

Was nutzte es den Wienern unter solchen Umständen, daß sie überall Platz hatten, sogar an den<br />

Weihnachtsfeiertagen die <strong>The</strong>ater nicht ausverkauft waren und man nicht mehr den aufreizenden<br />

<strong>Juden</strong>nasen begegnete? Was nutzte es, daß man zur christlichen Einfachheit zurückgekehrt war und sich<br />

den Vollbart wachsen ließ, wenn die Friseurgehilfen massenhaft entlassen werden mußten, weil es keine<br />

Arbeit mehr für sie gab?<br />

Am schlimmsten waren die Juweliere daran. <strong>Die</strong> meisten waren <strong>Juden</strong> gewesen und hatten auswandern<br />

müssen, und nun führten diese Geschäfte ehemalige kleine Uhrmacher und andere sicher sehr ehrenwerte<br />

Leute, die aber zum holländischen Edelsteinmarkt, der fast ausschließlich in jüdischen Händen liegt,<br />

keinerlei Beziehungen hatten und bei jedem Einkauf über die Ohren gehauen wurden. Schließlich hatte<br />

der Einkauf im Ausland ganz aufgehört, weil niemand mehr Schmuck wollte, wohl aber der Andrang<br />

derer, die verkaufen mußten, immer stärker wurde. Langsam, aber sicher wanderte ein großer Teil des<br />

inländischen Juwelenbesitzes in die Nachbarstaaten, nach England, Frankreich und Amerika, und auch<br />

dabei waren die Juweliere, die diesen Export betrieben, die Leidtragenden. Wenn ein Juwelier heute eine<br />

Perlenschnur für zehn Milliarden aus privatem Besitz kaufte und sie bald darauf für dreißig einem<br />

Amerikaner anhängte, so bildete er sich ein, ein glänzendes Geschäft gemacht zu haben und begoß seine<br />

Freude mit Wein, lobte den Dr. Schwertfeger und kaufte eine Fettgans, die nun nicht mehr das<br />

Privilegium der <strong>Juden</strong> war. Bevor er aber noch die schwere Gansleber verdauen hatte können, waren<br />

seine dreißig Milliarden nicht einmal die zehn wert, die er ausgegeben und er besaß kein Geld mehr zu<br />

neuen Ankäufen.<br />

So war es wahrhaftig kein Wunder, wenn zu Weihnachten eine Welle der Erbitterung und<br />

Unzufriedenheit durch Wien ging und die Silvesternacht nicht mit Jubel und Radau wie sonst, sondern in

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