Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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3. Kapitel<br />
Der alte Markör<br />
Im Café Imperial saß der Rechtsanwalt Doktor Haberfeld und schob die Zeitungen, die ihm der alte<br />
Zahlkellner Josef gebracht hatte, unwirsch beiseite.<br />
»Sie, Josef, leer ist es jetzt bei euch, daß man neben dem Ofen friert! Früher hat man mühsam sein<br />
Platzerl ergattern können und jetzt, jetzt könnt man bei euch das Traberderby abhalten, weil eh kein<br />
Mensch im Weg steht!«<br />
Josef strich die ergrauten Bartkoteletten, machte tieftraurige Augen, wischte mit der Serviette über den<br />
Tisch und sagte sorgenvoll:<br />
»Es geht eh ein Ringcafé nach dem andere ein, ich glaub', lang wer'n mir's auch net mehr machen.<br />
Wissen S', Herr Doktor, was die Herren Israeliten – pardon, die <strong>Juden</strong>, waren, die sind halt alle gern in<br />
die feinen Lokale gegangen, wo was los ist und man was sieht. Aber die christlichen Herrschaften, die<br />
geh'n ins Vorstadtkaffeehaus und spielen ihr Tarock oder machen eine Billardpartie und gehen sonst<br />
lieber zum Heurigen oder ins Wirtshaus. 's ist halt eine andere Zeit jetzt!«<br />
»Das merkt ein Blinder, der taubstumm ist«, brummte der Anwalt. »Sie, Josef, wir zwei kennen einander<br />
ja schon lange genug und brauchen uns keine Komödien vorzuspielen. Mir g'fallt halt die ganze Gschicht<br />
net! Wien versumpert <strong>ohne</strong> <strong>Juden</strong>!«<br />
Josef fuhr erschreckt zusammen und sah sich ängstlich um.<br />
»Ah was, es hört uns eh' niemand! Wien versumpert, sag' ich Ihnen, und wenn ich als alter, graduierter<br />
Antisemit das sag', so ist es wahr, sag' ich Ihnen! Ich wer' Ihnen was sagen, Josef. Wenn ich gegessen<br />
hab', muß ich, Sie wissen's ja am besten, immer mein Soda-Bikarbonat nehmen, um die elendige<br />
Magensäure zu bekämpfen. Wenn ich aber gar keine Magensäure hätt', so könnt ich überhaupt nichts<br />
verdauen und müßt krepieren. Und wissen S', der Antisemitismus, der war das Soda zur Bekämpfung der<br />
<strong>Juden</strong>, damit sie nicht lästig werden! Jetzt haben wir aber keine Magensäure, das heißt keine <strong>Juden</strong>,<br />
sondern nur Soda und ich glaub', daran wer'n wir noch zugrund' geh'n!«<br />
Josef, der mit atemloser und ehrfürchtiger Spannung gelauscht hatte, schlug verzweifelt mit der Serviette<br />
auf einen Stuhl und flüsterte beklommen:<br />
»Recht haben S', Herr Doktor, wenn man sich auch net traut, es laut zu sagen. Mit dem Zugrundegehen<br />
aber fang' ich schon an! Ich habe im letzten Halbjahr die Hälfte von meinem Ersparten aufgebraucht.