Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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In diesem höchst kritischen Augenblick schlich sich ein Herr mit Knebelbart unbeobachtet in den<br />
Sitzungssaal, winkte Herrn Habietnik zu sich heran und flüsterte vor Aufregung keuchend mit ihm,<br />
worauf sich Herr Habietnik zum Worte meldete.<br />
»Ich kann dem Hohen Haus auf Ehr' und Gewissen versichern, daß Herr Krötzl nicht ermordet und auf<br />
keinerlei gewaltsame Weise verhindert wurde, dieser so überaus wichtigen Sitzung beizuw<strong>ohne</strong>n. Herr<br />
Krötzl befindet sich irgendwo in einem Automobil, in dem er einen Kanonenrausch, von dem ihn der<br />
Chauffeur nicht erwecken kann, ausschläft. Der sehr ehrenwerte Herr Krötzl, diese einzige Wiener<br />
Zierde der christlichsozialen Partei, hat nämlich schon am frühen Morgen in Gesellschaft eines lustigen<br />
Kumpanen, seines Wohnungsnachbars, eine kleine Siegesfeier begangen und entschieden mehr<br />
getrunken als er verträgt. Sein Nachbar, der mir diese Mitteilung macht und den ich persönlich als<br />
zuverlässigen Ehrenmann kenne, fuhr dann mit Krötzl in einem Autotaxi hieher, mußte aber vorzeitig<br />
aussteigen, weil er den Gestank im Wagen nicht aushielt. Herr Krötzl gehört nämlich zu jener alten<br />
Garde, die sich lieber übergibt als stirbt. Wo sich in diesem Augenblick die springlebendige Leiche des<br />
Herrn Krötzl befindet, weiß ich nicht, aber das geht uns auch nichts an und man wird unmöglich<br />
verlangen, daß wir uns vertagen, bis Herr Krötzl nüchtern geworden ist.«<br />
Tosende Heiterkeit erfüllte das Haus und es wurde nunmehr nach der Anordnung des Präsidenten zur<br />
Abstimmung geschritten. Hundertundsechs Nationalräte stimmten für die Eliminierung des<br />
Ausnahmsgesetzes, dreiundfünfzig dagegen – das Gesetz war gefallen! Und die hunderttausend<br />
Menschen, die sich auf der Straße vor dem Parlament angesammelt hatten, riefen diesmal nicht »Heil!«,<br />
sondern »Hurra!« Sie waren nicht so begeistert wie vor drei Jahren, sondern ein wenig beschämt, hatten<br />
aber wieder ihren Humor gefunden und schon begannen Witze in der Luft zu schwirren.<br />
Leo hatte nur die Abstimmung abgewartet, dann stürzte er aus dem Parlamentsgebäude, warf sich in ein<br />
Autotaxi und fuhr nach der Linken Wienzeile zur »Arbeiter-Zeitung«. Dort ließ er sich in dringender<br />
Angelegenheit beim Chefredakteur melden, mit dem er eine halbstündige Unterredung <strong>ohne</strong> Zeugen<br />
hatte. Als er sich verabschiedete, schüttelte ihm der Redakteur kräftig beide Hände und sagte lachend:<br />
»Sie haben Außerordentliches geleistet und ich freue mich mit Ihnen von ganzem Herzen! Ihre Frechheit<br />
bewundere ich einfach! Man kann da wirklich nicht umhin, von –«.<br />
»Jüdischer Frechheit zu sprechen,« ergänzte Leo vergnügt und eilte die Treppe hinab.<br />
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Kaum waren die Extra-Ausgaben der Zeitungen erschienen, die das Ende der <strong>Juden</strong>verbannung<br />
verkündeten, als auch schon eine zweite Extra-Ausgabe der »Arbeiter-Zeitung« ausgerufen wurde:<br />
<strong>Die</strong> Krone steigt!