Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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ist, werde ich in Wolfgang w<strong>ohne</strong>n und jeden Tag wirst du herüberkommen und wir werden wenigstens<br />
eine Stunde beisammen sein.«<br />
»Hm«, meinte Lotte vergnügt, »das läßt sich ja hören! Aber jetzt muß ich dir auch sagen, daß ich gestern<br />
eine Auseinandersetzung mit Papa hatte. Stelle dir nur vor, plötzlich sah mich Papa scharf an und sagte<br />
sehr ernst: Lotte, wo treibst du dich eigentlich neuerdings immer stundenlang allein herum? Du weißt,<br />
wir lassen dir alle mögliche Freiheit, aber was zu viel ist, ist zu viel! Also, ich fühlte, wie ich blutrot<br />
wurde und dachte, das beste ist, ich beichte.«<br />
»Was«, unterbrach sie Leo entsetzt, »du hast deinem Vater erzählt...?«<br />
»Ausreden lassen, Aff'«, lachte Lotte und zwickte ihn in das Ohr. »Ich beichtete also, aber natürlich nur<br />
das, was mir paßte. Ich sagte dem Papa, daß ich bei der Erna einen sehr feinen jungen Mann<br />
kennengelernt habe, den ich ebenso gut leiden mag, wie er mich und daß ich ihn oft treffe, um mit ihm<br />
spazierenzugehen. Er sei ein Franzose, namens Henry Dufresne, der hier große Geschäfte mache.<br />
Der Papa war zuerst ganz sprachlos, dann fragte er mich, warum ich den Franzosen nicht zu uns einlade.<br />
Darauf erwiderte ich, daß ich meiner Gefühle noch nicht sicher sei und deshalb der Sache keinen<br />
offiziellen Anstrich geben wolle. Und zum Schlusse meinte ich ganz empört:<br />
Papa, du weißt doch, daß du dich auf mich verlassen kannst! Ich tue sicher nichts Unrechtes, und wenn<br />
ich es für gut und notwendig halten werde, so wird Henry schon zu euch kommen! jetzt aber laßt mich<br />
meine Wege allein gehen.<br />
Papa war darauf sehr lieb und nett und Mama auch, und später hörte ich, wie der Papa der Mama sagte:<br />
›Ich hätte nicht gedacht, daß Lotte den armen Leo so rasch und gründlich vergessen würde. Aber ich bin<br />
sehr glücklich darüber, daß sie eine neue Neigung gefaßt hat und wir wollen ihr nichts in den Weg<br />
legen.‹<br />
Und Mama, die dich doch so gerne hat, meinte kopfschüttelnd: ›Ich versteh' das Mädel gar nicht! Sie hat<br />
wirklich schon wieder rote Wangen bekommen und trällert den ganzen Tag umher, als wäre ihr nie ein<br />
Herzleid widerfahren.‹<br />
Weißt du, Leo, es ist sicher nicht schön von uns, daß wir meine Eltern so an der Nase herumführen, aber<br />
ich bin ja so glücklich, daß du hier in Wien bist!«<br />
Leo zog Lotte an sich, küßte sie gründlich ab und sagte dann mit wichtiger Miene:<br />
»Jetzt gehen wir aufs Land, und wenn ich dann wieder hier bin, dann werde ich die ganze <strong>Stadt</strong> an der<br />
Nase herumzerren, aber tüchtig, sage ich dir! Mehr kann ich dir heute noch nicht verraten, aber du wirst<br />
deine Wunder erleben!«