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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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5. Kapitel<br />

Henry Dufresne<br />

An einem schönen, sommerlich warmen Maimorgen kam vom Westbahnhof her ein Automobil vor das<br />

Hotel Bristol gefahren, dem ein eleganter, schlanker, dunkelhaariger Herr entstieg. Der Hoteldirektor<br />

musterte mit geübtem Blick den schweren Lederkoffer und das Handgepäck und dann erst den Fremden,<br />

dem ein kleines Knebelbärtchen im Verein mit dem aufgezwirbelten und in Wien sehr unmodernen<br />

Schnurrbart einen exotischen Anstrich verlieh. Südfranzose! taxierte der Direktor, rechnete rasch im<br />

Kopf französische Franken in Kronen um, und beschloß, dem erstaunlichen Resultat gemäß, den<br />

Zimmerpreis zu stellen. Auf die französisch vorgebrachte Frage, ob ein Zimmer frei sei, erwiderte er, ein<br />

ironisches Lächeln mühsam unterdrückend:<br />

»Jawohl, Monsieur, ein einzelnes Zimmer gefällig oder ein Appartement mit Bad? Mt Aussicht auf den<br />

Ring oder nach rückwärts?«<br />

Der Passagier ließ vor Erstaunen das eingeklemmte Monokel fallen.<br />

»Ja, wie ist denn das? Früher konnte man doch <strong>ohne</strong> vorherige Anmeldung nirgends unterkommen!«<br />

»Mein Herr«, seufzte der Direktor jetzt tief und ehrlich, »Sie waren wahrscheinlich anderthalb Jahre oder<br />

länger nicht mehr in Wien! Seither hat sich viel verändert!«<br />

Der Fremde war sofort im Bilde, nickte verständnisvoll, forderte ein Appartement auf die Ringstraße<br />

hinaus und füllte dann den Meldezettel aus.<br />

»Henry Dufresne, Kunstmaler aus Paris, 29 Jahre alt, katholisch, ledig.«<br />

Monsieur Dufresne nahm ein Bad, kleidete sich um, pfiff dabei vergnügt einen Pariser Gassenhauer vor<br />

sich hin, ließ sich ein vorzügliches Frühstück auf dem Zimmer servieren und verließ dann so gegen zehn<br />

Uhr vormittags ersichtlich aufgeräumt das Hotel.<br />

Der Franzose mit dem Knebelbärtchen kannte sich in Wien entschieden gut aus, denn er schwang sich,<br />

<strong>ohne</strong> jemanden zu fragen, auf einen Straßenbahnwagen, und er mußte auch die deutsche Sprache<br />

vorzüglich beherrschen, denn man sah ihm an, daß er den Gesprächen der Umstehenden interessiert<br />

lauschte. Als eine alte Frau über die Teuerung zu jammern begann und arg auf die hohe Obrigkeit<br />

schimpfte, klopfte Herr Dufresne sie auf die Schulter und meinte in tadellosem Deutsch und<br />

wienerischem Akzent besänftigend:

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