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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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er ein Jahr bleibt. Und genau so lange, als er dort ist, kann ich hier in Wien als Henry Dufresne leben.«<br />

Lotte schluchzte und lachte in einem Atem.<br />

»Leo, ich bin ja so namenlos glücklich! Aber ich habe auch solche Angst um dich! Du weißt, es steht die<br />

Todesstrafe auf die verbotene Rückkehr – was, wenn sie dich erwischen?!«<br />

»Ganz ausgeschlossen, mein Lieb! <strong>Die</strong> wenigen Freunde, die ich hatte, sind <strong>Juden</strong> und mußten so wie ich<br />

das Land verlassen. Außerdem bin ich tatsächlich durch den Bart unkenntlich, besonders, wenn ich ein<br />

Monokel trage. Und selbst wenn jemand käme und behaupten würde, daß ich Leo Strakosch bin – ich<br />

würde einfach leugnen und niemand könnte mich überführen, denn mein Paß ist echt, die Unterschrift ist<br />

echt, und wenn man bei der Polizei in Paris anfragen sollte, so würde man die Auskunft bekommen, daß<br />

Henry Dufresne mit Reisepaß nach Wien abgereist sei.«<br />

»Aber Papa und Mama?« fragte Lotte nach etlichen herzhaften Küssen, die ihr trotz Schnurrbart und<br />

Mouche wohl taten.<br />

»<strong>Die</strong> dürfen natürlich nicht ein Sterbenswörtchen erfahren, Lotte,« meinte Leo ernst. »Nicht, daß sie<br />

mich anzeigen würden! Aber dein Papa ist zu sehr Beamter und Hofrat, um mir eine solche Mystifikation<br />

nicht übel zu nehmen, und außerdem würde er unter keinen Umständen dulden, daß wir<br />

zusammenkommen, sondern mich beschwören, wieder fortzufahren. So aber werden wir uns täglich<br />

sehen, nicht wahr, Lotte?«<br />

Und Leo erzählte ihr von der behaglichen, kleinen Wohnung, die er eben gemietet und schilderte, wie sie<br />

dort täglich ein paar Stunden, solange Lotte sich eben würde freimachen können, zusammen verbringen<br />

würden. Lotte war nur über und über rot geworden, aber sie sah in die ehrlichen und treuen Augen ihres<br />

Bräutigams und wußte, daß sie auch ganz allein mit ihm in guter Hut sein würde.<br />

Lotte konnte jeden Augenblick im Garten gesucht werden und Leo mußte verschwinden. Bevor sie aber<br />

Abschied nahmen, bewölkte sich wieder die weiße Stirne des Mädchens.<br />

»Leo, du hast nun deine glänzende Karriere in Paris aufgegeben! Was aber willst du hier in Wien tun,<br />

wie bei dieser schrecklichen Teuerung, über die nun auch Papa zu klagen beginnt, deinen Unterhalt<br />

bestreiten?«<br />

Leo lachte so vergnügt und laut, daß ihm Lotte erschreckt die Finger auf den Mund legte. Was er für eine<br />

Aufforderung nahm, die kleinen rosigen Finger zu küssen. Er tat es reichlich und sagte dann:<br />

»Mein Liebes, was ich hier tun werde? Arbeiten, und zwar tüchtig, und ungeheuer viel Geld sparen, weil<br />

diese Wiener Teuerung, in Franks umgerechnet, lächerlich billig ist. Du mußt nämlich wissen, daß ich<br />

von der größten Pariser Verlagsfirma den Auftrag bekommen habe, eine neue Gesamtausgabe der Werke<br />

Zolas zu illustrieren. Glänzende Bedingungen, sage ich dir. Sechzigtausend Franks, wovon ich die Hälfte

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