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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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gemacht hat, das Kapital zu beherrschen und relativ mehr Geld zu besitzen als die christlichen Bürger.<br />

Ja, meine Verehrten, daraus geht doch nur hervor, daß sie rascher im Denken und Handeln sind, und eine<br />

kluge Regierung müßte solche Eigenschaften für die Allgemeinheit zu benutzen verstehen.«<br />

Stürmische Zurufe von allen Seiten: »Jawohl, eine gescheite Regierung, aber wir haben eben eine blöde!<br />

Recht hat er! Heil! Heil!«<br />

»Meine Verehrten«, sagte Leo lächelnd, »ob einem die <strong>Juden</strong> sympathisch sind oder nicht, ist eigentlich<br />

gleichgültig. Der Sauerteig, der dem Brotmehl beigegeben wird, schmeckt an sich recht abscheulich und<br />

doch kann <strong>ohne</strong> ihn kein Brot gemacht werden. So müßte man auch die <strong>Juden</strong> betrachten. Sauerteig, an<br />

sich wenig erfreulich und in zu großen Quantitäten schädlich, aber in der richtigen Mischung<br />

unentbehrlich für das tägliche Brot. Und ich glaube, daß Ihr Brot sitzen bleibt, weil ihm der Sauerteig<br />

fehlt!<br />

Nun heißt es aber nicht räsonieren und das, was geschehen ist, beklagen, sondern zusehen, wie Abhilfe<br />

geschaffen werden kann. Wie das in Österreich möglich sein wird, weiß ich nicht. In Frankreich würde in<br />

solchem Falle die Bevölkerung auf Neuwahlen dringen, die zeigen müßten, ob das Volk mit den<br />

herrschenden Zuständen zufrieden ist oder sie ändern will!«<br />

Damit trat Leo ab, um rasch in der Menge zu verschwinden. Der Versammlung hatte sich eine ungeheure<br />

Aufregung bemächtigt. Wie ein Funke in ein Dynamitfaß, so hatte das Wort »Neuwahlen« in die<br />

Menschenmassen eingeschlagen, die riesige Halle erdröhnte von diesem aus dreißigtausend Kehlen<br />

geschrienen Wort, das sich auf die Straße fortpflanzte und zum Schlagwort der kommenden Zeit wurde.<br />

Am folgenden Tage fand in der Redaktion der »Arbeiter-Zeitung« eine Konferenz der Hauptredakteure<br />

und der Vertrauensmänner der Partei statt, in der zum erstenmal seit Jahren wieder beschlossen wurde,<br />

aktive, energische Politik zu machen und mit dieser Politik aus den geschlossenen Räumen auf die Straße<br />

zu gehen. Der Chefredakteur der »Arbeiter-Zeitung«, der ehemalige Federnschmücker Wunderlich, der<br />

nach bestem Gewissen das Erbe Viktor Adlers verwaltete, kam zu folgender Konklusion:<br />

»Wir müssen das Schlagwort dieses merkwürdigen französischen Malers, der unmöglich <strong>Die</strong>freß heißen<br />

kann, wie ihn der Trottel von Vorsitzendem niedergeschrieben hat, aufgreifen. Von heute an werden wir<br />

in unseren Blättern, in unseren Versammlungen und Beratungen immer wieder Neuwahlen fordern. Und<br />

nun werden wir unsere Freunde in Frankreich, Holland, der Tschechoslowakei, in England und Amerika<br />

in Aktion setzen und sie veranlassen, alles zu tun, damit große Kronenbeträge auf den Markt geworfen<br />

werden. Fällt die Krone neuerdings empfindlich, steigt die Teuerung, die derzeit stagniert, wieder an, so<br />

ist die Lage reif für uns und wir werden, wenn es sein muß, die Auflösung der Nationalversammlung mit<br />

Gewalt erzwingen.«

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