Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Post gebracht wurde.<br />
Schließlich geriet ganz Wien in Aufregung, man sprach fast von nichts anderem, zerbrach sich den Kopf<br />
darüber, wer hinter diesem geheimnisvollen Bund wohl stecken möge, die Zahl derer, die dem Inhalte<br />
der kleinen Aufrufe zustimmten, wuchs von Woche zu Woche, die sozialdemokratischen<br />
Versammlungen bekamen wieder einen ungeheuren Zulauf und der Nimbus des Kanzlers sank<br />
ersichtlich.<br />
Lotte war eines Nachmittags früher zu Leo gekommen, als er sie erwartet hatte. Da sie einen eigenen<br />
Schlüssel zu der Wohnung besaß und Leo sie nicht wie sonst im Wohnzimmer erwartete, ging sie direkt<br />
in das Atelier. Leo warf rasch ein Tuch über einen kleinen Holztisch und begrüßte sie dann ein wenig<br />
verlegen.<br />
Lotte zog ihn beim Knebelbärtchen, sah ihm in die braunen Augen und sagte dann:<br />
»Du, Leo, du hast da soeben etwas vor mir verbergen wollen! Was befindet sich dort unter dem Tuch?«<br />
Leo lachte herzlich.<br />
»Mädel, du hast Augen wie ein Luchs! Also, dann will ich dir mein Geheimnis eben schon heute<br />
anvertrauen.«<br />
Er zog das Tuch fort und Lotte erblickte neben einem Typenkasten und einer Miniatur-Handpresse einen<br />
Stoß frisch gedruckter Zettel. Erstaunt las sie:<br />
»Wiener, geht es Euch heute besser oder schlechter als zur Zeit der <strong>Juden</strong>? Überlegt in Ruhe und Ihr<br />
werdet Euch die richtige Antwort geben! Wir alle haben einst geschrien: ›Hinaus mit den <strong>Juden</strong>!‹ So<br />
schreien wir heute: ›Herein mit jenen <strong>Juden</strong>, die ehrlich und treu mit uns arbeiten wollen.‹<br />
Der Bund der wahrhaftigen Christen.«<br />
Verblüfft, verwirrt, verständnislos ließ Lotte das Papier fallen und ergriff einen anderen Zettel, auf dem<br />
gedruckt stand:<br />
»Wir sehnen uns nicht nach den jüdischen Bankiers. Aber die intelligenten, klugen, wertvollen <strong>Juden</strong><br />
müssen wir mit offenen Armen aufnehmen, wenn wir nicht rettungslos verelenden wollen! Auf zur Tat,<br />
bevor es zu spät ist!<br />
Der Bund der wahrhaftigen Christen.«<br />
Fragend sah Lotte ihren Bräutigam an.