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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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19. Kapitel<br />

Ein verhängnisvoller Rausch<br />

Am Tage der Eröffnung der Nationalversammlung, also einen Tag vor der ersten entscheidenden<br />

Sitzung, besorgte Leo Strakosch, mit einem Handkoffer bewaffnet, allerlei Einkäufe. Bei Sacher kaufte<br />

er für einen phantastischen Preis, für den man einmal ein ganzes Ringstraßenhaus bekommen hätte, eine<br />

Straßburger Gänseleberpastete in der Terrine, im Hotel Imperial ließ er sich drei Flaschen eines<br />

köstlichen weißen Burgunders, drei Flaschen des schwersten und kostbarsten Bordeauxweines geben,<br />

außerdem eine Flasche uralten französischen Kognaks. Abends lauerte er dann vor dem Haustor dem<br />

Herrn Krötzl auf, der sich gerade nach der feierlichen Eröffnungssitzung des Hauses ins Wirtshaus<br />

begeben wollte, gratulierte ihm herzlich zu seiner Wiederwahl und sagte:<br />

»Lieber Herr Nationalrat, ich möchte morgen auch der historischen Tagung des Hauses beiw<strong>ohne</strong>n. Um<br />

elf ist der Beginn der Sitzung, also werde ich auf zehn Uhr mein Auto bestellen und Sie, wenn es Ihnen<br />

recht ist, mitnehmen.«<br />

Herr Krötzl fühlte sich durch die Liebenswürdigkeit des vornehmen und, wie es schien, sehr reichen<br />

jungen Franzosen höchst geschmeichelt, er nahm die Einladung dankend an und fügte hinzu:<br />

»Bin Ihnen sogar sehr verbunden, wenn Sie um zehn Uhr zu mir kommen, weil i dann net riskier' zu<br />

verschlafen. Meine Wirtschafterin, das dumme Luder, vergißt am End' noch, mich zu wecken, und i hab<br />

an so an schweren Schlaf, daß i die Weckuhr net hör'. Dös wär aber a schöne Gschicht', wann i morgen<br />

verschlafen tät. Nachher hätten mir in vierundzwanzig Stunden die Saujuden, die verfluchten, wieder in<br />

Wien!«<br />

Henry Dufresne nahm die übernommene Pflicht, Österreich vor den <strong>Juden</strong> zu schützen, sehr ernst, denn<br />

er läutete schon um halb zehn Uhr bei Herrn Krötzl an. Ein schlumpiges, zwar ungewaschenes, aber noch<br />

geschminktes junges Ding öffnete ihm und ließ den ihr wohlbekannten hübschen Franzosen, der eine<br />

mächtige Schachtel trug, <strong>ohne</strong>weiters ein, ein wenig enttäuscht, daß er ihr und ihren reichlichen Blößen<br />

nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte, sondern sich damit begnügte, ihr eine Banknote zu geben<br />

und sie zu bitten, gleich die Morgenblätter aus der Trafik zu holen.<br />

Leo packte im Vorzimmer umständlich die Schachtel aus, dann, als das Mädchen gegangen war, um<br />

seinen Auftrag auszuführen, begab er sich rasch in die Küche, rückte den Stundenzeiger der<br />

Kuckucksuhr um eine volle Stunde zurück, schlich sich auf den Zehenspitzen in das Wohnzimmer,<br />

bearbeitete dort die große Pendeluhr in gleicher Weise und öffnete schließlich, <strong>ohne</strong> anzuklopfen, leise<br />

die Tür zum Schlafzimmer des Herrn Nationalrates. Richtig lag dieser mit offenem Maul sägend und<br />

schnarchend in seinem Bett und auf dem Nachtkästchen erblickte Leo sofort die goldene Taschenuhr, die

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