Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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»Wie kann man nur so was sagen, Mutterl, wir müssen doch alle froh und glücklich sein, weil wir die<br />
<strong>Juden</strong> losgeworden sind.«<br />
Aber das Mutterl begehrte jetzt erst recht auf.<br />
»Mir ham' die <strong>Juden</strong> nie was g'tan! Wegen meiner hätten s' in Wien bleiben können. A so a gute<br />
Bedienung hab' i bei an jüdischen Herrn g'habt und alleweil, wann er a Madl mit nach Haus g'bracht und<br />
an Unordnung g'macht hat, hat er mir an Fetzen extra g'schenkt. Leben und leben lassen, hat er immer<br />
g'sagt und recht hat er g'habt!«<br />
<strong>Die</strong> Leute auf der Plattform lachten und ein biederer Mann mit einer weinselig funkelnden Nase meinte<br />
bestätigend:<br />
»Ja, das derf man schon sagen, es hat auch anständige Leut' unter den <strong>Juden</strong> 'geben!«<br />
Ein eigenartiges Lächeln spielte um den Mund des Franzosen, der nun ausstieg und langsam zu Fuß die<br />
Währingerstraße entlang schlenderte, dann in die Nußdorferstraße einbog, mitunter vor einer Auslage<br />
kopfschüttelnd stehen blieb, die Preise der ausgestellten Waren zur Kenntnis nahm und so schließlich in<br />
die Billrothstraße kam, die im weiteren Verlauf nach den rebenreichen Vororten Sievering und Grinzing<br />
führt.<br />
Ein Zettel am Haustor eines modernen Zinspalastes in der Billrothstraße fesselte seine Aufmerksamkeit.<br />
»Kleine, elegant möblierte Wohnung mit Atelier sofort zu vermieten. Auskunft erteilt der Portier.«<br />
Kurz entschlossen betrat Herr Dufresne das Haus und suchte den Portier auf, der ihn mittelst Lift nach<br />
dem fünften Stock führte und die Wohnung zeigte. Sie bestand aus einem Schlafzimmer, einem als<br />
Herrenzimmer eingerichteten Salon, an den sich ein atelierartiger, großer Raum mit Glasdach schloß.<br />
Auch ein Badezimmer war vorhanden.<br />
»Wie kommt es, daß die Wohnung leer steht?«<br />
»I, du meine Güte«, rief der Portier, »in Wien stehen jetzt an die zwanzigtausend Wohnungen leer! <strong>Die</strong>se<br />
da hat ein Architekt, ein Herr Rosenbaum, gehabt, der mit den anderen <strong>Juden</strong> fort mußte. Der Hausherr<br />
hat ihm die Möbel abgekauft, konnte aber bis heute keinen Mieter finden, weil keine Küche dabei ist.«<br />
Nach weiteren fünf Minuten hielt der Portier einen Fünfhunderttausendkronenschein als Angabe in der<br />
Hand, und Herr Dufresne war Besitzer der Wohnung. Als er jetzt mit beschleunigten Schritten gegen<br />
Grinzing ging, wirbelte er vergnügt sein Spazierstöckchen in der Luft und murmelte vor sich hin: »Der<br />
Anfang ist gut, besser hätte ich es mit der Wohnung gar nicht treffen können.« Je näher er aber Grinzing<br />
kam, desto erregter wurde er, seine Wangen färbten sich rot und seine braunen lustigen Augen leuchteten<br />
wie im Fieber. Nun hatte er die Kobenzlgasse erreicht und seine Schritte wurden langsam, fast