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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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16. Kapitel<br />

»Nieder mit der Regierung«<br />

Der Fasching dieses Jahres konnte die Laune der Wiener nicht verbessern. Grimmige Kälte, viel Schnee,<br />

ungeheizte Zimmer, weil der Meterzentner Kohle hunderttausend Kronen kostete, eine Pleite nach der<br />

anderen, der Zusammenbruch eines großen Bankkonzerns, bei dem viele ihr Geld liegen hatten.<br />

<strong>Die</strong> Bälle und Redouten standen vollständig unter dem Zeichen des Dirndlkostüms. Da der<br />

Toilettenluxus fehlte, machte man aus der Not eine Tugend, veranstaltete fast nur Bauernbälle, so daß<br />

Wien eher einem »Kirtag« glich als einer Großstadt.<br />

Dazu kam, daß Wien vollständig aufgehört hatte, eine <strong>The</strong>aterstadt zu sein. <strong>Die</strong> ersten Kräfte der<br />

Staatsoper gastierten unaufhörlich im Ausland, die Philharmoniker absolvierten eben eine Tournee in<br />

Südamerika, die Privattheater hatten sich in Provinzschmieren mit unzulänglicher Regie, minderen<br />

Kräften und veralteten Spielplänen verwandelt, von auswärts kamen längst keine Konzertgäste mehr,<br />

weil ihnen Wien die großen Gagen nicht zahlen konnte, Zeitungen waren neuerdings eingegangen, weil<br />

die Zahl der Leser immer mehr abnahm und plötzlich ertönte wieder der Alarmruf. »<strong>Die</strong> Krone fällt!«<br />

An den ausländischen Börsen fanden enorme Kronenabgaben statt, so daß Zürich sie bald nur mehr auf<br />

ein Dreißigtausendstel Centime bewertete. Demgemäß stiegen alle Preise und die Bevölkerung begann in<br />

Verzweiflung zu geraten. Als das Kilogramm Fett eine Million Kronen kostete, erschien wieder das<br />

geheimnisvolle kleine Plakat des Bundes der wahrhaftigen Christen mit den Worten:<br />

»Wie lange noch, Wiener, werdet Ihr diese Regierung dulden? Wann endlich wollt Ihr die<br />

Nationalversammlung auseinandertreiben und Neuwahlen erzwingen?«<br />

In den Morgenstunden des nächsten Tages kam es zu Plünderungen auf den Märkten, die erbitterten<br />

Hausfrauen stürmten die Stände, verprügelten die Marktfrauen und bemächtigten sich der Waren. In<br />

Favoriten nahm der Tumult einen revolutionären Charakter an, es mußte die Reichswehr aufgeboten<br />

werden, die sich aber weigerte, gegen die Frauen vorzugehen.<br />

In der Nationalversammlung, die eben tagte, richteten nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch<br />

einzelne Christlichsoziale und Großdeutsche Interpellationen an die Regierung, in denen gefragt wurde,<br />

was man zu tun gedenke, um der verzweifelten Bevölkerung zu helfen. <strong>Die</strong> Sozialdemokraten stellten<br />

einen Dringlichkeitsantrag, die Regierung möge sofort Neuwahlen ausschreiben, damit das Volk selbst<br />

entscheiden könne, ob es bereit sei, die herrschenden Zustände noch länger zu dulden.<br />

Totenbleich erhob sich der Bundeskanzler zu einer Entgegnung.

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