Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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17. Kapitel<br />
Vorbereitungen<br />
Leo, der fast nie Gelegenheit fand, mit irgend jemandem außer mit Lotte und seiner Aufwartefrau zu<br />
sprechen, hatte in der letzten Zeit zwei Bekanntschaften gemacht, die ihm wichtig dünkten. <strong>Die</strong> eine<br />
bestand in der Person des Nationalrates Wenzel Krötzl, die andere war der Inhaber des großen<br />
Modehauses in der Kärntnerstraße, Herr Habietnik.<br />
Mt Krötzl war Leo auf folgende Weise bekannt geworden: Als er einmal spät nachts aus dem<br />
Kaffeehaus, in dem er die Zeitungen und Zeitschriften zu lesen pflegte, nach Hause gekommen war, fand<br />
er auf dem letzten Treppenabsatz einen stockbesoffenen Mann liegen, der jämmerlich weinte und sich<br />
vergeblich bemühte, aufzustehen. Leo half ihm in die Wohnung, die unterhalb seines Ateliers gelegen<br />
war und erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß er den ehrsamen Nationalrat Wenzel Krötzl vor sich hatte,<br />
seines Zeichens im Nebenberuf Häuserschieber. Nicht nur, daß dies auf dem Türschild vermerkt stand,<br />
Herr Krötzl schrie auch, während er hin und her taumelte, immerzu:<br />
»Wann aner sagt, daß i b'soffen bin, so is er a jüdischer Gauner! I bin a g'wählter Nationalrat, an<br />
Abgeurdneter und hab' fufzich Häuser zum Verkaufen, die was früher denen Saujuden g'hört ham!«<br />
Leo hatte dann im Laufe der Zeit Gelegenheit, zu erfahren, daß Herr Krötzl nicht nur einer der<br />
wütendsten Antisemiten sei, sondern auch ein notorischer Trunkenbold, der sich gewöhnlich schon am<br />
Büfett des Parlaments seinen Frühstücksrausch kaufte. Nebenbei hatte er eine gewisse Beredsamkeit und<br />
genoß infolge seiner derben Ausdrucksweise viel Popularität unter seinen Wählern. Er war Witwer und<br />
beherbergte von Zeit zu Zeit eine angebliche Wirtschafterin bei sich, mitunter solche, die knapp das<br />
straffreie Alter von vierzehn Jahren besaßen.<br />
<strong>Die</strong> Bekanntschaft des Herrn Habietnik hatte Leo auf wesentlich bürgerlichere Art gemacht. Leo pflegte<br />
seinen Bedarf an Krawatten und Wäschestücken in dem Modehaus zu decken, das trotz seiner<br />
»Verloderung« noch immer die besten Waren führte, und bei solcher Gelegenheit war er einmal mit<br />
Herrn Habietnik ins Gespräch gekommen. Herr Habietnik war entzückt, einen Franzosen von Distinktion<br />
zu bedienen, der sich tadellos trug und genau wußte, daß zu einem blauen Cheviotanzug eine perlengraue<br />
Seidenkrawatte am besten paßte, es kam zu einem angeregten Gespräch, im Verlaufe dessen Leo<br />
erkannte, wie sehr der intelligente Kaufmann unter den herrschenden Verhältnissen litt, und von da an<br />
trafen sich die beiden öfters in dem Laden, schließlich vereinbarten sie sogar hie und da eine<br />
Zusammenkunft im Graben-Café.<br />
Nach der Auflösung der Nationalversammlung beeilte sich Leo, mit Herrn Habietnik wieder in Fühlung<br />
zu kommen, und im Laufe der Unterhaltung fragte er ihn um seine Meinung über die künftige