Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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<strong>Die</strong> neue Partei hieß »Partei der tätigen Bürger Österreichs«, stellte sich auf ein absolut bürgerlichfreisinniges<br />
Programm und begann mit einer lebhaften und temperamentvollen Agitation. Daß der<br />
Franzose Dufresne die Flugzettel und Aufrufe verfaßte, das wußte niemand als Herr Habietnik.<br />
Der Erfolg übertraf die kühnsten Erwartungen. Früher war die Bevölkerung jedem Versuch, eine<br />
demokratische Bürgerpartei zu gründen, mit größtem Mißtrauen entgegengetreten, weil sich in solcher<br />
Partei immer wieder die <strong>Juden</strong> vordrängten. <strong>Die</strong>smal war das eine rein christliche Angelegenheit, die<br />
Namen der Parteiführer bürgten dafür, daß es sich nicht um eine von auswärtigen <strong>Juden</strong> angezettelte<br />
Verschwörung handelte, und alle die Leute, die durch das <strong>Juden</strong>gesetz geschädigt worden waren,<br />
drängten sich in die Komiteelokale, um Mitglieder der neuen Partei zu werden. In hellen Scharen kamen<br />
die Kaufleute, die Juweliere, die Stückmeister der großen Schneider, die brotlos gewordenen Chauffeure,<br />
sie brachten ihre Frauen mit, immer größer wurde der Ansturm, trotz des Zeter- und Mordiogeschreies<br />
der christlichsozialen Blätter. <strong>Die</strong> »Arbeiter-Zeitung« verhielt sich zurückhaltend und durchaus nicht<br />
aggressiv. Man sagte sich dort, daß zweifellos die Partei der tätigen Bürger den Sozialdemokraten<br />
Tausende von Stimmen entziehen würden, andererseits aber dorthin alle jene Stimmen strömen würden,<br />
die sonst sich der Wahl enthielten oder doch wieder den Christlichsozialen oder Großdeutschen zuliefen.<br />
Also beschränkte sie sich darauf, hier und dort gegen das Programm der Bürgerlichen zu polemisieren,<br />
im geheimen aber wurden in zweifelhaften Bezirken sogar Vereinbarungen geschlossen.<br />
Und der Tag der Wahlen, die auf den 3. April festgesetzt worden waren, rückte näher und näher, die<br />
ganze Welt begann sich für sie zu interessieren, die fremden Börsen nahmen eine abwartende Haltung<br />
ein und ließen die Krone auf ihrem Tiefstand ruhen, und Wiens bemächtigte sich zunehmende<br />
Aufregung, die wiederholt zu Exzessen und bösartigen Tumulten führte. Denn alle Parteien arbeiteten<br />
mit jedem verfügbaren Mittel: die antisemitischen schrien »Verrat!« und erzählten Schauergeschichten<br />
von der Verschwörung des internationalen <strong>Juden</strong>tums; die Sozialdemokraten hetzten gegen die Bauern,<br />
die die arbeitende <strong>Stadt</strong>bevölkerung ausplündern, und gegen die christliche Demagogie, die sich nur<br />
selbst durch die Ausweisung der <strong>Juden</strong> hatte bereichern wollen; die neue Bürgerpartei aber führte immer<br />
wieder auf riesengroßen Plakaten Ziffern auf, die bewiesen, wie furchtbar die Verelendung Wiens seit<br />
der Ausweisung der <strong>Juden</strong>, wie Wien tatsächlich zu einem Riesendorf geworden, wie jeder Schwung und<br />
Zug ins Große geschwunden. Und immer wieder versicherte sie in allen Variationen und Tonarten:<br />
»Das Ausnahmsgesetz gegen die <strong>Juden</strong> muß aufgehoben werden, aber gleichzeitig wird es Sache einer<br />
klugen, gewissenhaften Regierung sein, alle jene Elemente, die nicht schon vor dem Weltkrieg in Wien<br />
seßhaft waren, fernzuhalten, es sei denn, sie können vor einem zuständigen, aus Bürgern und Arbeitern<br />
zusammengesetzten Gerichtshof nachweisen, daß sie willens und fähig sind, in Österreich nutzbringende,<br />
produktive, werterzeugende, dem Gesamtwohl notwendige Arbeit zu leisten.«<br />
Beim Bundeskanzler fanden täglich bis in die Nacht währende Sitzungen statt, in denen beraten wurde,<br />
wie man am besten der neuen Partei und dem wieder erstarkten Sozialismus entgegenarbeiten könnte,<br />
Schwertfeger hatte die richtige Empfindung gehabt. Es mußte ein neuer, mächtiger Geldkredit<br />
aufgebracht werden, die Krone mußte steigen, die Bevölkerung erfahren, daß das Christentum der ganzen<br />
Welt mit ihr solidarisch sei – dann werde die Regierung den Sieg erringen. Und der Finanzminister