Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Am Tage vorher hatte Leo mit dem Chauffeur eine wichtige Unterredung gehabt, die mit der Frage<br />
begann:<br />
»Wollen Sie hundert französische Franks verdienen?«<br />
Der Chauffeur hatte ungeheure Augen gemacht, war blutrot geworden und erwiderte keuchend:<br />
»Herr, für hundert Franks führ' ich Sie auf den Mond!«<br />
Aber der Franzose erwies sich als wesentlich bescheidener. Er erklärte, daß es sich um eine Wette handle<br />
und er nichts weiter zu tun habe, als vor dem Haus in der Billrothstraße zu warten, bis er, Monsieur<br />
Dufresne, mit einem voraussichtlich schwergeladenen Herrn einsteigen werde. Daraufhin habe das Auto<br />
stadtwärts bis zur Volksoper zu fahren, wo er aussteigen werde. Nunmehr müsse die Fahrt weiter bis zur<br />
großen Irrenanstalt am Steinhof, die weit außerhalb im Südwesten der <strong>Stadt</strong> liegt, gehen. Dort müsse der<br />
Chauffeur so lange stehen bleiben, bis sein betrunkener Gast sich melde. Und dann folgten weitere<br />
ausführliche Instruktionen für den intelligenten, lustigen Chauffeur.<br />
Alles wickelte sich programmäßig ab. Bevor noch das Auto bei der Volksoper angelangt war, schlief<br />
Herr Krötzl, nachdem er sich heftig übergeben hatte, den Schlaf des gerechten Säufers und Leo konnte<br />
ungestört ausspringen. Während Leo nach dem Parlament eilte, setzte der Chauffeur die fast halbstündige<br />
Fahrt nach Steinhof fort, wo er auf offener Straße seelenruhig stehenblieb und eine der guten Zigaretten<br />
Leos nach der anderen rauchte. So wurde es schließlich nahezu zwei Uhr, als endlich Herr Krötzl mit<br />
schmerzendem Schädel erwachte. Minuten vergingen, bevor er die Situation begriff und sich endlich klar<br />
darüber war, daß er sich in total verunreinigtem Zustande allein in einem Automobil befand. Schließlich,<br />
nach weiteren Minuten, erkannte er sogar, daß er sich durchaus nicht vor dem Parlament, sondern in<br />
unmittelbarer Nähe der Irrenanstalt am Steinhof aufhielt. Er sah verwirrt auf seine Uhr. Da sie<br />
zurückgerichtet war, wies sie auf eins. Entsetzt riß Krötzl den Wagenschlag auf, schimpfend und tobend<br />
drang er auf den Chauffeur ein, der gleichmütig erklärte, er habe als Fahrtziel Steinhof verstanden und<br />
der andere Herr sei unterwegs ausgestiegen. Mit den Fäusten fuhr sich Krötzl in die Haare, er weinte,<br />
schrie, bekam fast einen Tobsuchtsanfall, nannte den Chauffeur einen Staatsverbrecher, sprach von einer<br />
furchtbaren Verschwörung und Rache und flehte schließlich den Wagenlenker, der auch grob zu werden<br />
begann, an, er möge mit Windeseile nach dem Parlament fahren.<br />
Tausend Meter etwa fuhr dann auch das Auto, dann blieb es weit und breit von jeder Behausung entfernt<br />
stehen, und achselzuckend erklärte der Chauffeur, daß etwas am Motor in Unordnung sei und er nicht<br />
weiter könne.<br />
Im Galopp rannte der nüchtern gewordene Krötzl die tausend Meter nach der Irrenanstalt zurück. Dort<br />
benahm er sich dem Pförtner gegenüber so aufgeregt, daß dieser ihn für einen entsprungenen Insassen<br />
hielt und Wärter herbeirief. Es verging eine weitere halbe Stunde, bevor Krötzl zu einem Fernsprecher<br />
geführt wurde, er bekam natürlich keine Verbindung mit dem Parlament, da dort alle Nummern besetzt<br />
waren, und als er endlich die Verbindung hatte und der Parteisekretär zur Stelle gebracht war, schrie ihm