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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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zuletzt haben die Wiener Frauen und Mädchen, indem sie die christlichsoziale Partei im Stich ließen,<br />

gezeigt, daß sie wieder ein blühendes, lustiges Wien voll Luxus, auch wenn es mitunter einen<br />

orientalischen Anstrich hat, haben wollen.«<br />

<strong>Die</strong> weiteren Ausführungen Habietniks gingen in einer seltsamen Unruhe verloren, die sich über das<br />

Haus verbreitete. Was war geschehen? Nun, man hatte endlich auf der rechten Seite des Hauses entdeckt,<br />

daß der Nationalrat Krötzl nicht anwesend war, und eine Katastrophenstimmung bemächtigte sich der<br />

Christlichsozialen und Großdeutschen. Sie hörten nicht einmal ihren eigenen Kontraredner an, die <strong>Die</strong>ner<br />

wurden mit Automobilen ausgeschickt, um Krötzl aus seinem Bureau in der Inneren <strong>Stadt</strong> oder aus der<br />

Wohnung in der Billrothstraße zu holen.<br />

Noch wäre vielleicht die Situation zu retten gewesen, wenn man die Geistesgegenwart gehabt hätte, den<br />

Kontraredner zu veranlassen, stundenlang bis zum Eintreffen Krötzls zu sprechen. Aber man hatte total<br />

den Kopf verloren, der christlichsoziale Redner, Herr Wurm, kürzte, als er die Unruhe bemerkte und<br />

seine Genossen verschwinden sah, seine Rede sogar ab, und schon war ein bürgerlicher Antrag auf<br />

Schluß der Debatte und Abkürzung der weiteren Redezeiten auf fünf Minuten mit der erforderlichen<br />

Zweidrittelmehrheit angenommen.<br />

Vergebens schrien die überrumpelten Antisemiten Zeter und Mordio, der sozialistische Präsident waltete<br />

mit eiserner Energie seines Amtes, entzog jedem der wenigen schon vorgemerkten Redner nach fünf<br />

Minuten das Wort und unter enormer Spannung und allgemeiner Aufregung strömten die Abgeordneten<br />

wieder in den Saal, um bei der kommenden namentlichen Abstimmung anwesend zu sein.<br />

Herr Krötzl war noch immer nicht da, die <strong>Die</strong>ner konnten nur berichten, daß er in seinem Bureau<br />

überhaupt nicht gewesen und sein Wohnhaus in Begleitung eines anderen Herrn vormittags, ersichtlich<br />

angeheitert, verlassen habe.<br />

Ein Großdeutscher machte den letzten Rettungsversuch. Er erbat und erhielt das Wort, um zur<br />

Geschäftsordnung zu sprechen und sagte:<br />

»Der Nationalrat Herr Krötzl ist nicht anwesend und wir haben Anzeichen dafür, daß er mit Gewalt ferne<br />

gehalten wird, ja wir haben begründeten Anlaß zur Befürchtung, daß er das Opfer eines Verbrechens<br />

geworden ist. Unter solchen Umständen kann unmöglich über ein Gesetz abgestimmt werden, das über<br />

das Schicksal des Landes entscheiden wird. Wenn auf Seite der neuen Mehrheit dieses Hauses auch nur<br />

ein Funken Anstandsgefühl herrscht, so wird sie mit mir darin übereinstimmen, daß wir uns zunächst auf<br />

zwei Stunden vertagen. Bis dahin werden wir wohl Klarheit darüber haben, ob unser hochverehrter<br />

Kollege, Herr Nationalrat Krötzl, überhaupt noch unter den Lebenden weilt.«<br />

Totenstille entstand nach diesen Worten, die nicht zurückzuweisen waren.<br />

Sollte Krötzl wirklich mit Gewalt verhindert worden sein, an der Sitzung teilzunehmen, so mußte man<br />

wohl oder übel warten.

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