Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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14. Kapitel<br />
Eine aufhetzende Rede<br />
Bei Spineders war der Heilige Abend in der gewohnten patriarchalischen Weise gefeiert worden. <strong>Die</strong><br />
Stimmung war aber nicht die beste. Der Hofrat begann ernstliche Sorgen materieller Art zu haben, die<br />
ihm die Entwertung seines Vermögens bereitete; Frau Spineder konnte sich noch immer von dem<br />
Schrecken nicht erholen, den ihr die Tatsache eingejagt, daß sie für den Weihnachtskarpfen eine<br />
Viertelmillion und für die Weihnachtsgans drei Millionen hatte zahlen müssen, und Lotte war unruhig,<br />
weil sie <strong>ohne</strong> Nachricht von Leo war und doch gehofft hatte, daß er sich irgendwie wenigstens mit einem<br />
Glückwunsch melden würde.<br />
Gerade als mit Andacht der kostbare Fisch verzehrt wurde, läutete die Haustorglocke und das<br />
Stubenmädchen meldete, ein Mann sei da, der dem gnädigen Fräulein etwas persönlich zu überbringen<br />
habe. Lotte stürzte hinaus, und der in einen Pelz gehüllte Mann, der ihr etwas zu übergeben hatte, küßte<br />
sie im dunklen Hausflur wie verrückt ab, um ihr dann ein winziges Päckchen in die Hand zu drücken und<br />
eilends wieder zu verschwinden.<br />
Im Speisezimmer wickelte Lotte das kleine Paket aus und entnahm einem Lederetui einen Ring mit einer<br />
köstlichen, haselnußgroßen Perle.<br />
»Ein Weihnachtsgeschenk von Herrn Henry Dufresne«, sagte Lotte, die purpurrot geworden war, und ein<br />
unendliches Glücksgefühl durchströmte ihr junges Herz, als sie den Ring über den Finger zog.<br />
Der Hofrat aber war betreten und erklärte kategorisch:<br />
»Lotte, nun aber muß dieser Herr Dufresne sich uns doch endlich vorstellen und um deine Hand<br />
anhalten. Denn ein solcher Ring, den man einem Mädchen schenkt, ist einfach ein Verlobungsring.«<br />
Lachend küßte Lotte ihren Vater.<br />
»Habt noch ein wenig Geduld! Leo – Henry sagt, daß er sehr bald zu euch kommen werde.«<br />
<strong>Die</strong> Mama aber schüttelte wieder den Kopf und dachte:<br />
»Seltsame Zeiten, seltsame Jugend! Liebt einen, vergißt ihn und verwechselt dann seinen Namen mit<br />
dem des Nachfolgers!«<br />
Im Jänner vereinigten sich mehrere große Konsumentenorganisationen zu einer Massenversammlung in