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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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Operettentheater sind alle pleite. (Erinnerst Du Dich, wie ich lachen mußte, als ich von Dir zum<br />

erstenmal das Wort pleite hörte?) Es hat sich nämlich herausgestellt, daß sämtliche alte und neue<br />

Operetten von <strong>Juden</strong> entweder komponiert oder geschrieben sind, meistens beides. Auch fehlt es an<br />

Kräften, denn fast alle Tenore mußten ja auswandern. Wohl sind rasch ein paar ganz arische Operetten<br />

herausgebracht worden, aber das Publikum hat gezischt, weil es ein furchtbarer Schmarren war. Der<br />

Hofrat Tumpel meinte, daß sich die christliche Kunst eben nur für seriöse Sachen eigne, nicht für frivoles<br />

Zeug. Worauf Papa schmunzelte und sagte, man würde bald einsehen, daß sich die <strong>Juden</strong> und die<br />

Christen hierzulande sehr gut ergänzt haben.<br />

Neulich ist mir mittags am Graben aufgefallen, daß man heuer viel weniger elegante Herren und Damen<br />

sieht als früher. Es wird eben gar kein Modeluxus mehr getrieben. Allerdings muß ich sagen, daß mir die<br />

widerlichen jüdischen Schiebergesichter, über die Du Dich auch immer so geärgert hast, gar nicht fehlen.<br />

Dafür machen sich auf dem Korso sehr viel junge Lackeln, die wie Bauern aussehen und unmöglich<br />

angezogen sind, mit mächtigen Uhrketten und Diamantringen an den dicken Fingern, breit. Überhaupt<br />

scheint unser ganzer Fremdenverkehr nur mehr aus Bauern zu bestehen. Der Besitzer vom Hotel Imperial<br />

hat neulich in einer Zeitung geklagt, daß er jetzt Gäste habe, die sich mit den genagelten Schuhen ins<br />

Bett legen und ihre Jägerwäsche in der Badewanne waschen. Wenn Du durch die Kärntnerstraße gehen<br />

würdest, so würdest Du schauen, wie wenig elegant die Geschäfte jetzt sind! Nun muß ich aber<br />

schließen, weil es schon ein Uhr nachts ist und ich auch nichts Besonderes mehr weiß. Lebe wohl, mein<br />

Geliebter, und denke was aus, damit wir bald wieder beisammen sind, weil ich sonst gar nicht mehr leben<br />

mag. Es küßt Dich vieltausendmal Deine ganz verzagte<br />

Lotte.«

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