Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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Und es geschah, was geschehen mußte. <strong>Die</strong> Minister erklärten nach kurzer Beratung mit den<br />
christlichsozialen und großdeutschen Parteiführern, sich dem Terror zu fügen, das Haus auflösen und<br />
Neuwahlen sofort ausschreiben zu wollen. Der Bundeskanzler bot gleich seine Demission an, aber seine<br />
Kollegen und die Parteigrößen beschworen ihn, sie in diesem kritischen Augenblick nicht zu verlassen<br />
und so willigte er denn ein, die Zügel der Regierung noch bis zu den Wahlen in seinen Händen zu<br />
behalten.<br />
Als dem erregten Volke Mitteilung von der Auflösung der Nationalversammlung gemacht wurde, löste<br />
sich die Spannung in ungeheurem Jubel auf und in der kommenden Nacht wurden die Weinvorräte<br />
Wiens ganz erheblich gelichtet. Sogar der Franzose Henry Dufresne, der der denkwürdigen Sitzung auf<br />
der Galerie beigewohnt hatte, trank sich allein in seinem Atelier einen ordentlichen Rausch an. Am<br />
nächsten Morgen aber war er wieder frisch und munter, entwarf eine geniale Skizze, die das Titelbild des<br />
Warenhausromanes von Zola bilden sollte und schwenkte Lotte, die vormittags schneebedeckt mit kalten<br />
roten Backen zu ihm kam, in seinen Armen durch die Luft.<br />
Lotte war in ausgelassener Laune wie er, denn ihr Papa hatte nach der Lektüre der Morgenblätter sehr<br />
ernst gesagt:<br />
»Mein Kind, ich sehe schwere Konflikte für dich kommen! Wenn nicht alles trügt, so wird Leo Strakosch<br />
bald die Möglichkeit haben, nach Wien zurückzukehren und dann wirst du dich entscheiden müssen:<br />
Entweder er, den du so sehr geliebt hast und der mir ein willkommener Sohn wäre oder dieser mysteriöse<br />
Franzose, den wir noch immer nicht kennengelernt haben!«<br />
Als Lotte darauf lächelnd erwidert hatte, sie würde am liebsten beide, Leo und den Franzosen nehmen,<br />
da war Hofrat Spineder ernstlich böse geworden und hatte sie für frivol und unmoralisch erklärt. Sie<br />
mußte ihre ganze Verführungskunst aufwenden, um ihn zu besänftigen.<br />
Und nun saß sie auf dem Schoß ihres Geliebten und küßte Henry Dufresne und Leo Strakosch in einer<br />
Person mit Feuereifer ab.