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Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer

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10. Kapitel<br />

<strong>Die</strong> billige Sommerfrische<br />

An einem herrlichen Junitag ging Leo Strakosch als Franzose Dufresne nach dem <strong>Stadt</strong>park, um wieder<br />

einmal Fühlung zum Wien von heute zu bekommen. Sonst verließ er den neunzehnten Bezirk kaum, da<br />

er entweder in seinem Atelier arbeitete oder aber mit Lotte ausgedehnte Spaziergänge im Wienerwald<br />

unternahm. Als er heute nun zwischen den dichtbesetzten Tischen um den Kursalon herum spazierte, war<br />

er so belustigt, daß er laut auflachte.<br />

»Um Himmels willen, was ist aus meinem schönen eleganten Wien geworden!«<br />

<strong>Die</strong> Mode des Alpenkleides und Touristenanzuges schien allgemein geworden zu sein; so weit das Auge<br />

reichte, sah er alte und junge Herren in Loden, Kniehosen und mit dem grünen Steirerhütl auf dem Kopf.<br />

Und die Damen! <strong>Die</strong> Mehrzahl trug Dirndlkostüme, die ja im freien Gelände sehr nett und anmutend<br />

wirken, hier aber wie Karikaturen, wie schlechte Witze erschienen. Man war eben sehr bescheiden<br />

geworden, und vor allem bildete man ja eine einzige große Familie, war unter sich und hatte es nicht<br />

notwendig, sich »herzurichten«.<br />

Hie und da sah man auch noch elegant gekleidete Damen und Herren; sie fielen aber auf, man konnte<br />

von den Älplertischen bissige Bemerkungen über sie hören, und Strakosch wurde es fast unheimlich<br />

zumute, als er sah, wie ihn dieses oder jenes »Dirndl« durch ein Lorgnon anstierte, wahrscheinlich nur<br />

deshalb, weil sein dunkelblauer Anzug, die Lackstiefel und die kostbare Seidenkrawatte auffielen.<br />

<strong>Die</strong> elektrische Straßenbahn, städtische Musik und Dirndln, die ein Lorgnon tragen – Leo schüttelte sich.<br />

Er eilte aus dem <strong>Stadt</strong>park fort über die Ringstraße, fand auch das Bild, das die Kaffeehäuser boten,<br />

trostlos, grinste, als er wahrnahm, daß die meisten Leute einander mit »Heil« begrüßten und mußte lange<br />

suchen, bis er ein Autotaxi fand. Denn auch diese Mietwagen waren ein Luxus geworden, der so wenig<br />

Benützer hatte, daß die meisten ihr Geschäft aufgaben.<br />

Spät abends, als die Sonne schon langsam unterging, traf er Lotte verabredetermaßen am Rande des<br />

Kobenzlwaldes. Sie ließen sich auf einer Bank nieder, und nachdem sie sich sattgeküßt, erzählte Lotte,<br />

daß ihre Eltern beschlossen hatten, schon in der nächsten Woche nach ihrer kleinen Villa am<br />

Wolfgangsee zu übersiedeln.<br />

»Was soll nun aus uns werden«, klagte Lotte, »wie soll ich es ertragen, dich den ganzen Sommer nicht zu<br />

sehen?«<br />

»Davon kann auch keine Rede sein, Lieb. Ich werde eben auch ausspannen, und wenn du in St. Gilgen

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