Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden - The new Sturmer
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4. Kapitel<br />
<strong>Die</strong> allzu große Tat<br />
Der Frühlingsbeginn, der seit jeher als politisch aufgeregte Zeit gegolten hat, brachte auch diesmal den<br />
Wienern unruhige Tage. <strong>Die</strong> Arbeitslosigkeit griff erschreckend um sich, eine Fabrik nach der anderen<br />
stellte den Betrieb ein, aber auch die Konkurse der Detailgeschäfte häuften sich und allenthalben gab es<br />
lärmende Kundgebungen, nicht nur der Arbeiter, für die der Staat halbwegs sorgte, sondern auch der<br />
entlassenen Kommis und Verkäuferinnen, Buchhalter und Tippmädels, bis in bewegter<br />
Ministerratssitzung beschlossen wurde, auch diesen Kategorien für die Zeit ihrer Stellenlosigkeit<br />
Zuschüsse zu gewähren. Der Finanzminister hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, der<br />
Kanzler, Dr. Schwertfeger, aber schließlich seinen Willen durchgesetzt. Doktor Schwertfeger, der noch<br />
starrer, knochiger, härter geworden war, erklärte, daß auch diese neue Belastung getragen werden müsse.<br />
»Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen, daß eines Tages der Ausweisung der <strong>Juden</strong> die Schuld an Not<br />
und Elend gegeben wird. Wir haben bis heute die ›Arbeiter-Zeitung‹, die jetzt zwar von Christen, aber<br />
doch noch im jüdischen Geist geschrieben wird, bewegen können, jede Kritik des Antijuden-Gesetzes zu<br />
unterlassen. Erfüllen wir die Forderungen der Stellungslosen im kaufmännischen Betriebe nicht, so wird<br />
ihr die Geduld reißen und sie wird, schon um diese Leute in ihr Lager zu drängen, eine Polemik eröffnen,<br />
die verderblich werden kann, weil wir die Übergangszeit von der <strong>Juden</strong>herrschaft zur Befreiung noch<br />
nicht hinter uns haben.«<br />
»Und unsere Krone?« wandte der Finanzminister Professor Trumm höhnisch ein.<br />
»Wir müssen uns an unsere christlichen Freunde im Auslande wenden und ihnen unsere Bedrängnis klar<br />
machen. Am besten, Sie fahren gleich nach Paris und London.«<br />
Trumm lachte laut auf »Ganz vergeblich! Schon von der ersten Bittfahrt vor drei Monaten bin ich mit<br />
leeren Händen gekommen! <strong>Die</strong> Leute geben nichts mehr, haben ja sogar ihre festen Versprechungen<br />
nicht ganz gehalten. Sie unterschätzen den Einfluß unserer früheren Konnationalen, der österreichischen<br />
<strong>Juden</strong>, die zum Teil heute in den ausländischen Banken sitzen! Und abgesehen davon, der christliche<br />
Begeisterungstaumel ist vorbei und man steht wieder auf dem kalt-geschäftlichen Standpunkt. Sogar<br />
Mister Huxtable hat abgewinkt. Also meinethalben, bewilligen wir die Forderungen der stellenlosen<br />
kaufmännischen Angestellten! Aber ich wasche meine Hände in Unschuld.«<br />
Am nächsten Tag wurde der Kabinettsbeschluß verlautbart, es trat wieder Ruhe ein, aber am<br />
zweitnächsten Tag fiel die Krone an der Züricher Börse um dreißig Prozent. Und die »Neue Züricher<br />
Zeitung« veröffentlichte einen Artikel, in dem sie ziffernmäßig nachwies, daß Wien langsam, aber sicher<br />
aufhöre, irgendwelche Bedeutung für den mitteleuropäischen Handelsverkehr zu haben und der Rivalität