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Bildungsprozesse zwischen Familie und Ganztagsschule

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1.2 Zum Wandel der Lernkultur im entgrenzten<br />

Jugendalltag<br />

Der Jugendalltag gilt zum einen als eine besonders lernintensive Phase (vgl.<br />

Tully 2006, S.18) bzw. sozialisatorische Phase, die der Vorbereitung auf das<br />

Erwachsenendasein <strong>und</strong> Berufsleben dient. In dieser Verbindung ist Lernen<br />

immer auch in einen gesellschaftlichen Wandel eingeb<strong>und</strong>en. Daneben ist<br />

Jugendalltag ein Ort des Ausprobierens von Jugendkultur <strong>und</strong> genuinem<br />

Jugendleben. Eine Vielzahl alltagsweltlicher Konflikte <strong>und</strong> Dynamiken entzündet<br />

sich an diesem Spannungsverhältnis von Sozialisation auf der einen<br />

<strong>und</strong> Jugendmoratorium auf der anderen Seite (vgl. Reinders 2006). Wichtige<br />

gesellschaftliche Entwicklungen, welche die Häufigkeit <strong>und</strong> die Struktur von<br />

Lern- als auch Freizeitgelegenheiten mitbestimmen sind die Pluralisierung<br />

der Lebenslagen <strong>und</strong> Flexibilisierung der Erwerbsarbeit.<br />

In der neueren jugendsoziologischen Debatte ist daher einerseits von der<br />

Informalisierung des Lernens sowie der Ausdifferenzierung von Lernwelten<br />

neben der Schule die Rede. Andererseits spricht man von einer ‚Entgrenzung‟<br />

bezüglich Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Privatleben, Bildung <strong>und</strong> Freizeit in<br />

räumlicher, zeitlicher <strong>und</strong> sachlicher Hinsicht (vgl. Schröer/Böhnisch 2006,<br />

S. 45). Anknüpfend an den Diskurs zur Entgrenzung der Jugendphase vertritt<br />

Lüders (2007) die These der Verdichtung der Jugendphase:<br />

Ausdifferenzierung heißt, dass potentiell alle gesellschaftlichen Bereiche zu<br />

Lernfeldern im Jugendalltag werden können, sofern sie informelles Lernen<br />

ermöglichen. „Schüler, die jobben, sich im Sportverein betätigen, Musik<br />

machen oder digitale Technik nutzen, stehen dafür, dass Jugendliche unterschiedlich<br />

konstruierte Welten zu verknüpfen wissen.“ (Tully 2007, S. 408).<br />

Diese Entwicklung ist Ausdruck größerer Handlungsfreiheiten <strong>und</strong> gesellschaftlicher<br />

Individualisierungstendenzen, die wiederum zu einer Ausdifferenzierung<br />

der Lebensbedingungen der Jugendlichen führt im Sinne größere<br />

Handlungsfreiheiten z.B. im Bereich des Arbeitsmarktes, der Freizeit <strong>und</strong><br />

der Medien. Entgrenzung bedeutet nun in diesem Zusammenhang jedoch<br />

nicht die Aufnahme einer Erwerbsarbeit durch die Jugendlichen, sondern<br />

dahinter steht die Annahme, dass sich Jugendliche zunehmend als Produzent<br />

<strong>und</strong> Anbieter ihres Humankapitals verstehen <strong>und</strong> dementsprechend<br />

selbsttätig <strong>und</strong> auch bezogen auf mögliche Verwertbarkeit für Beruf <strong>und</strong><br />

Qualifikation ihr Lernen lenken. 5 Gleichzeitig sind sie von der Entgrenzung<br />

der Erwerbswelt im familialen Kontext betroffen. D.h. sie erfahren, wie<br />

sich der <strong>Familie</strong>nalltag verändert bzw. die Eltern die Lebensverhältnisse neu<br />

strukturieren müssen, um Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> besser vereinbaren<br />

zu können (vgl. Schröer/Böhnisch 2006, S. 48). Dabei sind die Erfahrungen,<br />

die Jugendliche in ihrer Lebenswelt machen, ihre alltäglichen Lern- <strong>und</strong><br />

<strong>Bildungsprozesse</strong> selbst wiederum Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen,<br />

die geprägt sind von den neuen Leitchiffren Flexibilität, Effektivität<br />

<strong>und</strong> Passgenauigkeit: Während das Bildungssystem die Bildungs- <strong>und</strong> Aus-<br />

5 Kirchhöfer (2001) spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Entgrenzung des Lernens“<br />

(ebd., S. 106), wenn Bildung zunehmend unter dem Zwang zur Selbstorganisation steht. Das<br />

Potenzial der Selbstbildung allein für den Zugang zum Arbeitsmarkt <strong>und</strong> Beruf zu setzen, reduziert<br />

Bildung auf eine Berufsqualifizierung (vgl. Stolz 2006, Lange/Xyländer 2011).<br />

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