Jahresbericht 2007 - Cusanuswerk
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Bildungsveranstaltungen<br />
Ferienakademie VI<br />
Thema:<br />
Missraten, krank, behindert:<br />
Konzepte gesellschaftlicher Normalität<br />
Zeit: 16. bis 28. September <strong>2007</strong><br />
Ort:<br />
Rot an der Rot<br />
Teilnehmer/innen: 68<br />
Geistliche Begleitung: Dr. Rainer Hagencord<br />
Leitung:<br />
Dr. Nikolaus Schneider<br />
Mit dem Begriff „Normalisierungsmacht“ beschreibt Michel Foucault, dass Gesellschaften<br />
durch ein komplexes Netzwerk von Meinungen, juristischen Regeln und wissenschaftlichen<br />
Aussagen bestimmte Verhaltensweisen und Eigenschaften als gemeinwohlschädlich<br />
klassifizieren, sanktionieren und pathologisieren. Diese Normalisierungsmacht<br />
geht eben nicht von einzelnen Akteuren aus, die missliebige Randgruppen anprangern<br />
möchten; sie formiert sich vielmehr in der Mitte einer Gesellschaft und wird zu einem<br />
kaum mehr hintergehbaren common sense.<br />
Die Ferienakademie zeigte nachdrücklich, dass auch unsere Gesellschaft, die sich als<br />
freiheitlich, pluralistisch und kritisch gegenüber Autoritäten charakterisiert, Normalisierungsmächte<br />
ausübt. Ziel der Akademie war es, ein kritisches Bewusstsein gegenüber<br />
derart blinden Flecken unserer Gesellschaft zu wecken.<br />
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschäftigten sich insbesondere mit drei Bereichen<br />
von (A-)Normalitätskonzepten: mit psychiatrischen Krankheiten, mit (Körper-)Behinderungen<br />
sowie mit abweichender Sexualität.<br />
Neben der diskurstheoretischen Fundierung, die durch intensive Foucault-Lektüre gesichert<br />
wurde, setzte die Akademie auch auf die Erfahrung von Anormalität am eigenen Leibe:<br />
drei blinde Workshopleiter halfen den Studierenden, sich im Dunkelraum von der Erfahrung<br />
der Bodenlosigkeit zu ersten Erfolgserlebnissen hochzuhangeln, zwei langjährige<br />
Rollstuhlfahrerinnen trainierten ihre Gruppe für die Alltagstücken in einem öffentlichen<br />
Raum, der längst nicht barrierefrei ist. In den theoriehaltigen Sektionen wurden nicht<br />
minder intensive Diskussionserfahrungen gemacht: debattiert wurde über den Ansatz<br />
der Disability Studies, über unseren Sprachgebrauch in Bezug auf Behinderungen und<br />
Behinderte, über die Unmöglichkeit des Rechts, einen übergeordneten moralischen<br />
Standpunkt zu bieten, über die dezidierten Normalitätskonzepte in den lehramtlichen<br />
Aussagen der katholischen Kirche zur Sexualität.<br />
Am Ende dieser Debatten kann nicht der moralische Appell stehen, Normalitätskonzepte<br />
fahren zu lassen. Zu erwarten ist hingegen, dass die teilnehmenden Stipendiatinnen und<br />
Stipendiaten „häufiger als normal“ die sie umgebenden Normalisierungsmächte bemerken,<br />
zu benennen im Stande sind und durch spontane Courage durchbrechen können.<br />
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