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Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum

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Polen macht seine<br />

theatermacher zu<br />

stars, die auf der<br />

strasse erKannt<br />

werden. der<br />

theaterKritiKer<br />

roman PawŁowsKi,<br />

der für die grösste<br />

tageszeitung des<br />

landes schreibt,<br />

PortrÄtiert einen<br />

von ihnen und zeigt,<br />

warum das theater<br />

des regisseurs Jan<br />

Klata zwischen PoP,<br />

Poesie und PolitiK für<br />

aufregung weit über<br />

den zuschauerraum<br />

hinaus sorgt.<br />

TExT: ROMAN PAWłOWSKI<br />

FOTOS: cHRISTIAN ROlFES<br />

JAN KlATA — AUF DEM WEG NAcH AMERIKA<br />

Linker Katholik, konservativer Rebell,<br />

klassikaffiner Punk – nicht nur<br />

Talent und eine bildmächtige Fantasie,<br />

auch seine widersprüchliche<br />

Persönlichkeit machen Jan Klata zu<br />

einem der interessantesten Regisseure<br />

des europäischen Gegenwartstheaters.<br />

Klata ist das Kind einer von Paradoxien<br />

geprägten Zeit. Seine Generation<br />

sah bekennende Marxisten, mit<br />

Michael Gorbatschow an der Spitze,<br />

den Kommunismus zu Grabe tragen.<br />

Sie erlebte mit, wie einstige Parteigenossen<br />

und ehemalige Dissidenten<br />

Hand in Hand ein neues System unter<br />

marktliberalen Vorzeichen errichteten.<br />

Und sie debütierte zu einem<br />

Zeitpunkt, an dem islamistische Fanatiker<br />

die Geschichte, die 1989 zum<br />

Stillstand gekommen schien, wieder<br />

ins Rollen brachten.<br />

Wer wie Klata in einem Schmelztiegel<br />

widersprüchlicher Ideen, Traditionen<br />

und Ideologien aufwuchs,<br />

ist meist vor allem eines: kritisch. Er<br />

traut weder den Sympathisanten des<br />

Ancien Régime, noch den Propheten<br />

der schönen neuen Welt. Er steht<br />

den Sozialutopien des vergangenen<br />

Jahrhunderts ebenso skeptisch gegenüber<br />

wie den liberalen und neoliberalen<br />

Dogmen des neuen. Er sucht<br />

eigene Wege durch eine von Spannungen<br />

und Konflikten geprägte globalisierte<br />

Welt – auf eigene Faust und<br />

auf eigenes Risiko.<br />

Genau so ist auch Jan Klatas Theater.<br />

Schon mit seinem Regiedebüt<br />

stellte er den polnischen Status quo<br />

in Frage, der auf Abmachungen zwischen<br />

Vertretern der einstigen Opposition<br />

und den zu Postkommunisten<br />

gewendeten Repräsentanten der alten<br />

volksrepublikanischen Nomenklatura<br />

beruhte. In Wałbrzych, einer<br />

abgewirtschafteten Bergbaustadt in<br />

der niederschlesischen Provinz, versetzte<br />

er 2003 Gogols „Revisor“ ins<br />

kommunistische Polen der 1970er<br />

Jahre. Die nach dem damaligen Premier<br />

Gierek benannte Epoche, eine<br />

Zeit des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Fortschritts und der<br />

Öffnung nach Westen, aber auch<br />

der Korruption und des politischen<br />

Zynismus, diente Klata als Zerrspiegel<br />

für das von politischen Affären,<br />

Arbeitslosigkeit und Korruption ge-<br />

100<br />

plagte Polen der Gegenwart.<br />

Spätere Inszenierungen führten<br />

die radikale Kritik an den Verhältnissen<br />

im postkommunistischen Polen<br />

fort. Seine schlicht „H.“ betitelte<br />

Hamlet-Version in der Danziger<br />

Werft 2004 war eine Abrechnung<br />

mit den politischen Eliten des landes,<br />

denen nach 1989 im Kampf um<br />

Macht und Pfründe das Ethos der<br />

gesellschaftlichen Solidarität abhanden<br />

gekommen war. Schon der<br />

Spielort symbolisierte den Verfall:<br />

Eine heruntergekommene Halle in<br />

der ehemaligen lenin-Werft, der<br />

Wiege der „Solidarnos´ć“ und einem<br />

der ersten Opfer der kapitalistischen<br />

Marktwirtschaft.<br />

Den Regisseur Jan Klata interessiert<br />

aber keineswegs nur die Gegenwart,<br />

er setzt sich auch mit der Vergangenheit<br />

auseinander. In seiner<br />

Fassung von Stanisław Ignacy Witkiewiczs<br />

„Fizdejkos Tochter“ legte er die<br />

latenten, anlässlich des polnischen<br />

EU-Beitritts wieder aufgebrochenen<br />

Ängste und Psychosen von Polen<br />

und Deutschen offen. Die Deutschen<br />

zeigte Klata als Technokraten,<br />

denen immer noch die Gespenster<br />

von Auschwitz nachspuken. Die Polen<br />

wiederum präsentierte er dem<br />

deutschen Stereotyp entsprechend<br />

als betrunkene Arbeitslose, die ihre<br />

Habseligkeiten in Plastiktüten mit<br />

sich herumschleppen. „Transfer!“,<br />

eine auf Erzählungen polnischer und<br />

deutscher Opfer der Vertreibungen<br />

um 1945 basierende Theaterdokumentation,<br />

zeigte dagegen die Perspektive<br />

einer Versöhnung auf, in<br />

der das leid des anderen anerkannt<br />

wird, ohne die historischen Fakten<br />

und die Differenz der Erfahrungen<br />

zu leugnen.<br />

Mit der Zeit erweiterte Klata die<br />

Kampfzone und wandte sich globalen<br />

Themen zu. Er befasste sich mit dem<br />

Krieg gegen den Terrorismus und den<br />

Mechanismen der Erzeugung von<br />

Furcht, er kritisierte die Mediendemokratie,<br />

in der Medien und Meinungsforschungsinstitute<br />

die Macht<br />

übernommen haben, er fragte nach<br />

dem Sinn von Revolutionen in einer<br />

postpolitischen Welt, die keine<br />

Klassenkonflikte mehr kennt. Und<br />

mitten in der Finanzkrise analysierte<br />

er 2009 in „Das gelobte land“ die

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