Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
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Manchmal kann es auch langweilig<br />
sein, dass alles so ordentlich ist. Aber<br />
andererseits bleibt auch viel Zeit übrig,<br />
um nachzudenken, weil du dich<br />
nicht permanent mit anderen Dingen<br />
beschäftigen musst. In Istanbul<br />
hast du keine Zeit zum Nachdenken.<br />
Du musst ständig etwas machen und<br />
kämpfen. Wann kommt der Bus?<br />
Kommt der Bus oder nicht? In welche<br />
Straße muss ich abbiegen? Bekomme<br />
ich ein Taxi oder nicht? Wird<br />
es einen Umweg fahren? In welchem<br />
Supermarkt kann man olivenöl zu<br />
welchem Preis kaufen? In einem<br />
Geschäft kannst du Toast für 9 Lira<br />
kaufen, in dem Laden gegenüber bekommst<br />
du ihn für 1 Lira. Selbst in<br />
einem Supermarkt kann man nicht<br />
in ruhe einkaufen gehen.<br />
Mit dem ruhrgebiet verbinde<br />
ich aber auch die Zeit, in der ich<br />
als Schauspieler mit roberto ciulli<br />
zusammen gearbeitet habe und die<br />
mein Leben verändert hat. Denn ich<br />
habe gemerkt, dass alles, was ich bis<br />
dahin über Schauspielerei und Theater<br />
wusste, nur Müll war. Das war<br />
1994 und wie ein naives Kind habe<br />
ich mich danach wieder mit Schauspiel<br />
und Theater auseinandergesetzt.<br />
Seitdem habe ich immer davon<br />
geträumt, eines Tages wieder am<br />
Theater an der ruhr als Schauspieler<br />
oder regisseur zu arbeiten. Dazu ist<br />
es nicht gekommen, aber dafür verwirkliche<br />
ich jetzt in demselben Gebiet<br />
einen ähnlichen Traum.<br />
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit<br />
mit deutschen Schauspielern<br />
am <strong>Schauspielhaus</strong> <strong>Bochum</strong>.<br />
Was hat das für dich bedeutet, als dein<br />
Vater das Schauspiel aufgegeben hat?<br />
War das auch für dich ein entscheidender<br />
Schnitt im Leben?<br />
Ich habe erst viel später realisiert,<br />
dass er aufgehört hat. Aber er war von<br />
Anfang an dagegen, dass ich Schauspieler<br />
werde. Wir hatten schon immer<br />
ein sehr schlechtes Verhältnis<br />
zueinander. Als ich im Konservatorium<br />
angefangen habe, sollte er ein<br />
Formular für mich unterschreiben.<br />
Aber er hat es nicht getan und ich<br />
musste es mir von meinem opa unterschreiben<br />
lassen. Er sagte „Wenn<br />
du diese Schule besuchst, wirst du<br />
unglücklich und ein Kommunist!“<br />
Und ich bin beides geworden.<br />
Soll man also besser auf seinen Vater<br />
hören?<br />
Nein. Ich bin sehr glücklich darüber,<br />
unglücklich zu sein.<br />
AUS DEM TürKIScHEN VoN SELEN KArA<br />
mahir Günsiray<br />
wurde in Istanbul geboren. Er stammt<br />
aus einer bekannten türkischen Schauspielerfamilie.<br />
Nach seinem Abschluss<br />
an einer Schauspielschule in der Türkei<br />
machte er seinen Masterabschluss in<br />
Regie an der Universität Leeds, Großbritannien<br />
und studierte an der Fakultät<br />
für bildende Künste an der Mimar<br />
Sinan Universität Istanbul. Er lehrte<br />
Bewegung, Improvisation, Schauspiel<br />
und Regie an den Fakultäten für Theater<br />
und darstellende Künste an verschiedenen<br />
Universitäten. 1986 begann er als<br />
Schauspieler am türkischen Staatstheater<br />
zu arbeiten und gründete 1996 in<br />
Istanbul die freie Theatergruppe Tiyatro<br />
Oyunevi, mit der er als Regisseur zahlreiche<br />
Stücke und Romanbearbeitungen<br />
inszenierte, in denen er teilweise auch<br />
selber mitspielte. Darunter “Mann ist<br />
Mann” von Brecht, “Die Zofen” von<br />
Genet und “Don Quixote” von Cervantes.<br />
Seine letzte Produktion “Waiting...”<br />
entstand als Koproduktion mit<br />
dem internationalen Seas-Festival und<br />
wird in verschiedenen europäischen<br />
Hafenstädten gezeigt.<br />
90<br />
Faust<br />
von Johann Wolfgang von Goethe<br />
Premiere am 4. Dezember <strong>2010</strong> im <strong>Schauspielhaus</strong><br />
Seine Suche nach Glück und Erkenntnis hat ihn weltbekannt<br />
gemacht: Wie kaum eine andere Figur der Weltliteratur<br />
stellt Goethes Faust die großen letzten Fragen nach<br />
Gut und Böse, nach dem Wesen der religion, nach Wahrheit,<br />
Grund und Sinn des Menschseins und nach Liebe.<br />
Und weil ein Menschenleben allein nicht ausreicht, um all<br />
das zu ergründen, was „die Welt im Innersten zusammenhält“,<br />
verbündet sich dieser Glückssucher mit dem Teufel<br />
selbst – und bleibt dabei doch nur ein rädchen im Spiel der<br />
Großen und Höchsten, und bei deren zynischer Wette Gegenstand<br />
und Einsatz zugleich. Mit seinem Faust entwirft<br />
Goethe aber auch die deutscheste aller literarischen Figuren,<br />
die tief in der deutschen Geistesgeschichte verwurzelt<br />
ist. Im ersten Teil seines Lebenswerkes schickt er Faust als<br />
den Prototyp des zweifelnden Intellektuellen auf die reise<br />
durch eine Welt der Verführung, immer auf der Suche nach<br />
dem einem, dem glücklichen Lebensmoment. Im späteren,<br />
zweiten Teil lässt er Faust dann selbst eine Welt erschaffen<br />
und daran scheitern, voller utopischer Hoffnung alle Gegensätze<br />
auszusöhnen und zu einem klassischen Lebensideal<br />
zusammenzuführen.<br />
Der Istanbuler regisseur Mahir Günsiray verbindet beide<br />
Teile und blickt vom südlichsten rand Europas auf den<br />
Goetheschen Kosmos und seinen Protagonisten. Nicht<br />
auszuschließen, dass sein Faust ganz andere Fragen hat<br />
oder andere Antworten auf die bekannten Fragen findet.<br />
oder einfach nur nach Süden wandert.<br />
Regie: Mahir Günsiray<br />
Bühne: Claude Leon<br />
Kostüme: Meentje Nielsen<br />
Dramaturgie: Thomas Laue