Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
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kranke „Geiz ist geil“-Mentalität des<br />
neoliberalen Kapitalismus.<br />
Das treffendste Bild der postmodernen<br />
Welt zeichnete Klata in<br />
seiner Inszenierung von Stanisława<br />
Przybyszewskas epischem Drama<br />
„Die Sache Danton“. Er verlegte die<br />
Handlung in einen Slum unserer<br />
Zeit, ließ die Revolutionäre aber in<br />
Kostümen des 18. Jahrhunderts auftreten.<br />
Zwischen Hütten aus Pappe<br />
und Wellblech wirkte Robespierres<br />
und Dantons verbissenes Ringen um<br />
die Führerschaft grotesk, die Revolution<br />
wurde zur Farce. Eindrücklicher<br />
lässt sich ein Abgesang auf die Ideale<br />
der französischen Revolution kaum<br />
gestalten.<br />
Klata entwickelt seine Kapitalismus-<br />
und Utopiekritik aus der<br />
Position des bekennenden und engagierten<br />
Katholiken. Sein Danziger<br />
Hamlet zog auf Polonius’ Frage „Was<br />
leset Ihr, mein Prinz?“ ein Gotteslob<br />
aus der Tasche und zitierte aus den<br />
Zehn Geboten. Als gläubiger Katholik<br />
– einer von sehr wenigen in<br />
der gegenwärtigen Theaterlandschaft<br />
– steht er gleichwohl dem in Polen<br />
weit verbreiteten religiösen Fanatismus<br />
äußerst kritisch gegenüber. Das<br />
zeigt seine Adaption von André Gides<br />
Roman „Die Verliese des Vatikan“,<br />
in der er religiösen Fanatismus und<br />
westlichen Nihilismus konfrontierte.<br />
Auf der einen Seite standen die Hörer<br />
des ultrakatholischen Senders Radio<br />
Maryja, die sich in einer Festung der<br />
Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit<br />
verschanzten, auf der anderen<br />
Seite Jugendliche, die durch Popkultur<br />
und antikirchliche Einstellungen<br />
geprägt wurden. Klata ließ sie ihren<br />
Streit musikalisch austragen: Die einen<br />
sangen ein Madonnenlied, die<br />
anderen antworteten mit „Sympathy<br />
for the Devil“ von den Rolling<br />
Stones.<br />
Der politischen Radikalität Klatas<br />
entspricht die Radikalität seiner Theatersprache.<br />
Jan Klata ist ein DJ auf<br />
dem Regiestuhl: Er scratcht Inszenierungen,<br />
indem er klassischen Stücken<br />
Gossensprache untermischt,<br />
er loopt Repliken, um den Effekt<br />
stillstehender Zeit zu erreichen, er<br />
sampelt die unterschiedlichsten Texte<br />
und lässt etwas Neues daraus entstehen.<br />
Eine Schlüsselrolle in seinen<br />
JAN KlATA — AUF DEM WEG NAcH AMERIKA<br />
Inszenierungen spielen Musikzitate:<br />
In „Die Sache Danton“ sind es „Revolution<br />
No. 9“ von den Beatles und<br />
„Talkin’ bout a Revolution“ von Tracy<br />
chapman, in „Schuster.am.Tor“ ist<br />
es „london calling“ von The clash,<br />
und in „Das gelobte land“ ist „In the<br />
Air Tonight“ von Phil collins zu hören.<br />
Die symbolische Bedeutung dieser<br />
und anderer Zitate ist von einem<br />
popkulturell sozialisierten Publikum<br />
leicht zu erfassen.<br />
Manche Zuschauer irritiert die<br />
Brutalität von Klatas Inszenierungen,<br />
die direkt und plakativ daherkommen<br />
wie Parolen an Häuserwänden.<br />
Wer nur einen angenehmen Abend<br />
im Theater verbringen möchte, für<br />
den sind sie nichts. Doch genau so<br />
muss Theater sein: unbequem und<br />
beunruhigend. Nur so lebt es. Nur so<br />
hat es einen Sinn.<br />
Roman PawŁowski IST THEATERKRITIKER<br />
UND REDAKTEUR DER „GAZETA WyBORcZA“,<br />
DER GRÖSSTEN üBERREGIONAlEN TAGESZEI-<br />
TUNG POlENS.<br />
AUS DEM POlNIScHEN VON<br />
BERNHARD HARTMANN<br />
Jan Klata<br />
wurde 1973 geboren und studierte<br />
Regie an der Warschauer Theaterakademie<br />
und später an der staatlichen<br />
Theaterschule Krakau. Er assistierte<br />
polnischen Theatergrößen wie<br />
Jerzy Grzegorzewski oder Krystian<br />
Lupa. Seine erste Inszenierung von<br />
Nikolai Gogols „Revisor“ wurde als<br />
wichtigstes Debüt des Jahres 2003 gefeiert.<br />
Seither inszeniert Jan Klata an<br />
den bedeutendsten Bühnen Polens, in<br />
Warschau, Krakau und Wrocław. Seine<br />
Inszenierungen waren auf diversen<br />
Festivals im Ausland zu sehen, so unter<br />
anderem am HAU Berlin, beim Festival<br />
d’Automne in Paris oder beim Internationalen<br />
Festival Buenos Aires. 2006<br />
inszenierte Jan Klata in Graz erstmals<br />
im deutschsprachigen Raum und 2009<br />
am Düsseldorfer <strong>Schauspielhaus</strong> zum<br />
ersten mal in Deutschland. Seine Inszenierungen<br />
wurden mit zahlreichen<br />
bedeutenden polnischen Theaterpreisen<br />
ausgezeichnet.<br />
102<br />
AmerikA<br />
von Franz Kafka<br />
Premiere am 2. April <strong>2011</strong> im <strong>Schauspielhaus</strong><br />
„Wir wollen nicht das Neuste lesen – wir wollen das Beste,<br />
das Bunteste, das Amüsanteste lesen. Ja, also Amerika“,<br />
schrieb Kurt Tucholsky in einer Kritik zur Veröffentlichung<br />
des Romanfragments „Amerika“ von Franz Kafka. Das unvollendete<br />
Werk erzählt die Geschichte von Karl Rossmann,<br />
der von seinen Eltern nach Amerika geschickt wird und<br />
nun fern der Heimat lernen muss, erwachsen zu sein. Kafkas<br />
Erzählung ist mit all dem ausgestattet, was die literatur<br />
des Prager Versicherungsangestellten so unverwechselbar<br />
macht. Der 16-jährige Immigrant Rossmann bemüht sich<br />
nach Kräften, die Regeln in der neuen Welt zu verstehen<br />
und zu befolgen. Doch er strauchelt ständig in dieser komplizierten,<br />
verwirrenden Welt. Erst sind es die unverständlichen<br />
und ungerechten Gesetze des mächtigen, reichen<br />
Onkels, dann die kriminelle, ausbeuterische Energie der<br />
zwielichtigen Wandergesellen, später die Durchtriebenheit<br />
der älteren liftboys im Hotel Occidental, die ihm das leben<br />
schwer machen. Doch Karl verliert nicht seine Zuversicht.<br />
Die durchaus komische Geschichte hat viele Momente, in<br />
denen die Sache auch gut gehen könnte, wenn beispielsweise<br />
die Oberköchin des grotesken Hotels Karl Obdach<br />
und Arbeit verschafft. Und auch Glück scheint möglich in<br />
diesem überfordernden Fantasie-Amerika: Karl stellt sich<br />
zu den Engeln mit den Trompeten in die Reihe, um beim<br />
großen Naturtheater von Oklahoma auf eine Anstellung<br />
zu hoffen.<br />
Regie: Jan Klata<br />
Bühne und Kostüme: Justyna Łagowska,<br />
Mirek Kaczmarek<br />
Choreografie: Maćko Prusak<br />
Dramaturgie: Olaf Kröck