Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
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„Das finde ich vollkommen in Ordnung.“<br />
Jan, du hast auch mehrere Berufe oder?<br />
Jan Neumann: nach meinem erstengagement<br />
als schauspieler in münchen<br />
bin ich ans schauspiel Frankfurt<br />
gegangen. dort ging es mir eine<br />
Zeit lang nicht gut. Also habe ich<br />
geschrieben: mein erstes stück, das<br />
ich schon auf der schauspielschule<br />
begonnen hatte. die uraufführung<br />
fand ich so schlimm, dass ich herausfinden<br />
wollte, ob es am Stück lag<br />
oder an der regie. Ich habe die Leitung<br />
in Frankfurt solange bearbeitet,<br />
bis ich es selbst inszenieren durfte.<br />
so wurde ich Autor und regisseur.<br />
Seitdem finde ich es ziemlich irre,<br />
wie dieser „markt“ funktioniert:<br />
man hat das Gefühl, dass jedes<br />
Jahr eine neue Generation erfunden<br />
wird und stellvertretend einer in die<br />
höchsten sphären des Feuilletons geschossen<br />
wird. man weiß genau, dass<br />
da schnell wieder ein neuer name<br />
zwischen den sternen steht. Ich habe<br />
erlebt, dass ich eine gute Kritik in der<br />
„süddeutschen“ hatte, und plötzlich<br />
kamen die Anrufe. Auch von Leuten,<br />
die seit Jahren kaum mit mir geredet<br />
haben. die haben mir plötzlich sachen<br />
angeboten, ohne überhaupt etwas<br />
gesehen zu haben. Ich finde das<br />
interessant, aber auch enttäuschend.<br />
Worüber habt ihr euch zuletzt richtig<br />
geärgert?<br />
Jan Neumann: über die deutsche<br />
Bahn, gerade eben wieder. das klingt<br />
total kleinkariert, aber es ist etwas,<br />
über das ich mich wirklich aufregen<br />
kann. Ich gehe oft in den speisewagen<br />
und ärgere mich darüber, dass es<br />
dort seit Jahren schlechter, aber dafür<br />
immer teurer wird. es geht überall<br />
nur um Gewinnmaximierung und<br />
um nichts anderes mehr. das klingt<br />
wirklich kleinkariert und gewollt politisch!<br />
Aber es ist doch überall so:<br />
Als die deutsche Bank vor kurzem 5<br />
milliarden Gewinn bekannt gegeben<br />
hat, habe ich mich richtig aufgeregt.<br />
Zwei tage vor der nacht, als Frau<br />
merkel und Herr Ackermann dieses<br />
erste rettungspaket für die Banken<br />
geschnürt haben, hat mich ein befreundeter<br />
Banker angerufen und<br />
meinte, er hätte gerade seine Konten<br />
bei der deutschen Bank aufgelöst,<br />
wIe Kommt K d dIe<br />
weLt Lt L Ins tHeAter? Ater? A — dIe Autoren<br />
denn es kursierten Gerüchte, dass<br />
die nächste wochew Pleite geht. Ab-<br />
solute Hysterie. und dann verkünden<br />
die wenige monate später einen<br />
5-millarden-Gewinn! wahnsinn.<br />
was w ich vermisse, ist eine generelle<br />
Form von moral als ein Gegenprogramm<br />
zur Gewinnmaximierung.<br />
Dirk Laucke: Ich denke nicht, dass<br />
man von Bankern eine moralische<br />
Jan Neumann<br />
geboren 1975 in München, lebt in<br />
Berlin. Der Autor, Schauspieler und<br />
Regisseur ist Spezialist für Stückentwicklungen.<br />
Dabei lässt er sich von<br />
einem Schlüsselbegriff leiten, dem er<br />
mit seinem Ensemble in Diskussionen,<br />
Recherchen, Improvisationen und biografischen<br />
Erkundungen nachgeht. So<br />
hat er bereits eine Anzahl spannender<br />
und weithin wahrgenommener Stücke<br />
und Inszenierungen geschaffen: „Kredit“<br />
am Schauspiel Frankfurt, „Fundament“<br />
am Staatstheater Stuttgart und<br />
zuletzt „Gott allein“ am Staatsschauspiel<br />
Dresden. Darüber hinaus inszeniert<br />
Jan Neumann auch die Werke anderer<br />
Autoren und schreibt Stücke, bei<br />
denen er nicht selbst Regie führt und<br />
die am Thalia Theater in Hamburg, am<br />
Düsseldorfer <strong>Schauspielhaus</strong> und am<br />
Schauspiel Essen uraufgeführt wurden.<br />
Position erwarten kann. die machen<br />
ihren Job aus ihrer sicht genau<br />
richtig, auch wenn sie scheiße bauen.<br />
das kann man ihnen nicht vorwerfen,<br />
sie sind schließlich nicht für<br />
Amnesty International engagiert.<br />
Jan Neumann: Aber wenn ich darüber<br />
70<br />
schimpfe, kann ich wenigstens eine<br />
sehnsucht formulieren. es gibt keine<br />
Gesprächskultur mehr, in der die<br />
dinge an- und ausgesprochen werden,<br />
wie sie sind. schon gar nicht in<br />
der Politik. Ich verstehe nicht, wie zum<br />
Beispiel so eine hochkarätige truppe t<br />
wie auf der Klimakonferenz keine<br />
Form der Kommunikation findet.<br />
Christoph Nußbaumeder: Ich glaube,<br />
das ist ein symptom für ganz viele<br />
Bereiche in der Gesellschaft, aber<br />
darüber kann ich mich nicht so<br />
echauffieren! Die Ursachen liegen<br />
ganz woanders.<br />
Jan Neumann: Klar, sind das nur symptome.<br />
die ursache kann ich aber<br />
letztendlich nicht greifen. Ich kann<br />
mich deshalb ehrlicherweise auch<br />
nicht hinstellen und sagen: Kapitalismus<br />
ist scheiße, weg mit dem Kapitalismus.<br />
Nuran David Calis: der Gesellschaftspakt,<br />
den es ja mal gab und zu teit len immer noch gibt, wird nach und<br />
nach ausgehöhlt. unterm strich laufen<br />
die dinge gegen uns und überm<br />
strich soll es so aussehen, als würde<br />
alles für uns getan. Alles ist darauf<br />
bedacht, das system am Laufen zu<br />
halten, dabei wird es im Kern immer<br />
weiter ausgehöhlt.<br />
Also Revolution?<br />
Nuran David Calis: vielleicht utopien.<br />
wo w steuert unsere Gesellschaft<br />
hin?<br />
Dirk Laucke: m ichail Bakunin, ein<br />
Anarchist, meinte, dass die utopie<br />
die Leute verrät, weil sie ein Bild von<br />
einem Paradies schafft, das es gar<br />
nicht gibt. Bakunin ist im Prinzip für<br />
eine permanente entwicklung. das<br />
ist ja vielleicht auch im theater immer<br />
wieder der Fall. die Glücksmomente<br />
der Freiheit beim schreiben<br />
oder Proben sind ja die momente des<br />
Ausprobierens.<br />
Christoph Nußbaumeder: m an kann<br />
von den meisten menschen nicht<br />
erwarten, dass sie permanent revolution<br />
betreiben. man sehnt sich ja<br />
auch nach sicherheit und festen or-