Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
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Aus welchen Gründen entscheidet man<br />
sich heute dafür, ausgerechnet Theaterautor<br />
zu werden?<br />
Reto Finger: Ich wollte ursprünglich<br />
gar nichts mit theater zu tun haben,<br />
obwohl es in meiner Familie einige<br />
musiker und theaterleute gibt. Ich<br />
habe Jura studiert. mit 25 habe ich<br />
gemerkt, dass mir das nicht reicht.<br />
Ich wollte mich nicht ausschließlich<br />
Christoph Nußbaumeder<br />
geboren 1978 in Eggenfelden/Niederbayern,<br />
lebt seit 11 Jahren in Berlin.<br />
2004 gewann er den Preis des Stückewettbewerbs<br />
der Berliner Schaubühne<br />
für sein Stück „Mit dem Gurkenflieger<br />
in die Südsee“.<br />
Nußbaumeder schreibt in der Tradition<br />
des kritischen Volksstücks, erzählt<br />
von den Verlierern, aber auch von<br />
den Gewinnern unserer Gesellschaft.<br />
Mit wenigen Worten gelingt es ihm,<br />
seine Figuren messerscharf zu charakterisieren.<br />
Nußbaumeders Stücke wurden<br />
an der Schaubühne am Lehniner<br />
Platz Berlin, bei den Ruhrfestspielen<br />
Recklinghausen, am Nationaltheater<br />
Mannheim, am Schauspiel Köln und<br />
am Schauspiel Essen uraufgeführt.<br />
als Jurist mit dem Leben auseinandersetzen.<br />
nun wechsele ich hin und<br />
her: es gibt Phasen, in denen man<br />
das Leben beschreiben kann, und es<br />
gibt Phasen, in denen man es leben<br />
muss. Ich kann deshalb auch nicht<br />
durchgehend intensiv schreiben. Ich<br />
muss immer wieder außerhalb des<br />
theaters arbeiten, um auf neue dinge<br />
zu stoßen, die mich inspirieren.<br />
Jan Neumann: Arbeitest du immer<br />
noch als Jurist?<br />
Reto Finger: Ja, hin und wieder.<br />
Nuran David Calis: Immer, wenn ich<br />
ihn anrufe, höre ich: „Ich verfasse<br />
gerade einen Bericht für einen richter.“<br />
Als ich ihn in Zürich besucht<br />
habe, sind wir durch das Büro irgendeines<br />
staatsanwaltes und haben<br />
Akten gesucht. manchmal findet<br />
man ihn nur noch im Gericht.<br />
Christoph Nußbaumeder: Ich wollte<br />
auch nie zum theater. Aber ich habe<br />
früh geschrieben. verschiedenes:<br />
Kurzprosa, Lyrik, alles mögliche und<br />
plötzlich entstand auch ein theaterstück.<br />
das wurde relativ rasch uraufgeführt<br />
und danach kamen die ersten<br />
stückaufträge. Ich hätte nie gedacht,<br />
dass es eine spezielle szene für dramatik<br />
gibt und dass man davon leben<br />
kann. Ich hatte mir Autoren immer<br />
eher wie Goethe vorgestellt (lacht):<br />
man macht irgendwie alles.<br />
Dirk Laucke: Ich habe szenisches<br />
schreiben studiert, an der udK in<br />
Berlin. mir war es auch nicht so klar,<br />
dass ich theaterautor werden möchte.<br />
Ich habe halt texte t geschrieben,<br />
auch mal ein theaterstück. Ich habe<br />
mich dann mit einem Fragment<br />
beworben und studiert, weil es besser<br />
war als Psychologie, was ich ursprünglich<br />
machen wollte. nach den<br />
ersten erfolgen bin ich dann auch in<br />
diese sogenannte spirale gekommen.<br />
Ich habe aber auch keinen Bock, einen<br />
anderen Beruf zu machen, also<br />
schreibe ich.<br />
Nuran, du bist Regisseur, Autor und<br />
Filmemacher. Was hast du studiert?<br />
Nuran David Calis: regie. In münchen,<br />
an der Falckenberg schule. daher<br />
kenne ich auch Jan neumann.<br />
der war auf der theaterakademie als<br />
schauspielschüler ein Jahrgang über<br />
mir. wir fanden das damals total<br />
krass, dass euer gesamter Jahrgang<br />
ans residenztheater engagiert wurde.<br />
Ihr wart unsere Idole.<br />
Jan Neumann: d a hattet ihr aber komische<br />
Idole.<br />
69<br />
EisEnstE nstE nst in<br />
von Christoph Nußbaumeder<br />
uraufführung am 26. september <strong>2010</strong><br />
in den Kammerspielen<br />
Glücklich sind sie nicht geworden, die schatzschneiders<br />
aus eisenstein. sind von eisenstein nach münchen gegangen,<br />
reicher geworden und mächtiger über die Jahre, aber<br />
das unglück lag wie ein Fluch über dieser Familie. dabei<br />
standen 1945 die sterne gut für den alten Josef schatzschneider:<br />
In den wirren der nachkriegsjahre hat er sich<br />
gut gestellt mit den Alliierten, hat seinen Bruder, der bei<br />
der ss war, durchbringen können und nebenbei noch erna,<br />
die junge Frau, die als Flüchtling zu ihnen kam in den letzten<br />
Kriegstagen. einen unehelichen sohn hat er mit ihr,<br />
glaubt er. der Junge Georg wächst in eisenstein auf, erhält<br />
Josefs Bruder zum stiefvater und wird zum ehrgeizigen und<br />
erfolgreichen unternehmer. Als Georg sich in Gerlinde,<br />
Josefs tochter, t verliebt, muss Josef seine vaterschaftvbeich- ten und das Paar trennen. erna schweigt zu alledem, doch<br />
sie allein und die wahrheit w über Georgs wirklichen vater v<br />
könnten die beiden unglücklichen erlösen. Als sie zu reden<br />
beginnt, ist es zu spät. Georg heiratet Heidi, die jüngere<br />
schwester Gerlindes, die ehe scheitert. erst die dritte Generation<br />
der schatzschneiders ist in der Lage, das schweigen<br />
und die Lügen zu durchbrechen.<br />
e ingebettet in historische und politische ereignisse<br />
erzählt Christoph nußbaumeder die saga einer zerrissenen<br />
Familie, die nicht zu sich findet. So ist es auch die<br />
Geschichte der Bundesrepublik deutschland, die sich nur<br />
langsam aus den schatten und dem schweigen der verganv genheit löst.<br />
Regie: Anselm Weber<br />
Bühne: Patrick Bannwart<br />
Kostüme: Meentje Nielsen<br />
Musik: Cornelius Borgolte<br />
Video: Bibi Abel<br />
Dramaturgie: Thomas Laue, Sabine Reich<br />
mit: dietmar Bär, roland Bayer, maja Beckmann, Annemarie<br />
Bubke, Bettina engelhardt, Andreas Grothgar, Jonas<br />
Gruber, martin Horn, Karolina Horster, Kristina-maria<br />
Peters, sierk radzei, Krunoslav Šebrek