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Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum

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ten. das ist die diskrepanz zwischen<br />

wille und wirklichkeit.<br />

Dirk Laucke: w ir ziehen uns zurück<br />

und horten unseren reichtum!<br />

Jan Neumann: Ich kann doch nicht<br />

glaubhaft den Aufruf zur revolution<br />

hinschreiben. Ich kann auch kein<br />

politisches theater machen, weil ich<br />

mich beim schreiben in viel zu viele<br />

Positionen hineindenken kann. Ich<br />

erzähle lieber von der schwierigkeit,<br />

Position zu beziehen und wie unmöglich<br />

das heute ist.<br />

Reto Finger: es gibt nicht mehr nur<br />

die eine Antwort. das ist ein symptom<br />

unserer Generation. es ist eine<br />

große Herausforderung, davon nicht<br />

paralysiert zu werden. dass ich nicht<br />

nur schreiben darf, wenn ich die Gesamtantwort<br />

habe. Ich muss mich<br />

damit begnügen, die widersprüche<br />

zu ertragen und eine teilantwort t<br />

zu<br />

liefern. wir müssen uns damit abfinden,<br />

dass wir im Gegensatz zu der<br />

Generation vor uns keine monokausalen<br />

Antworten mehr liefern können.<br />

Dirk Laucke: d as finde ich vollkommen<br />

in ordnung.<br />

Christoph Nußbaumeder: die monokausalen<br />

stücke waren auch schlechte<br />

stücke.<br />

Jan Neumann: Zu ihrer Zeit vielleicht<br />

nicht.<br />

Dirk Laucke: was in deutschland in<br />

der tradition,t in der wir stehen, über-<br />

haupt nicht geht, ist menschen von<br />

der Bühne herab modelle vorzusetzen,<br />

wo dann alle zur tat t schreiten<br />

sollen. Ich habe schiss vor Konzepten,<br />

die so einheitlich sind. es gibt ja<br />

nicht nur das linke Konzept. wenn w<br />

allen Leuten klar gemacht wird, dass<br />

deutschland sich abschotten muss<br />

vor einer Bedrohung, die Globalisierung<br />

heißt, dann ist auf jeden Fall<br />

auch das rechte Konzept im Kommen.<br />

e s gibt sehr viele Parallelen in linken<br />

wie rechten Konzepten. daher<br />

habe ich Bedenken vor monokausalen<br />

Antworten. Ich sehe mich lieber<br />

als ein Finger in den wunden. w<br />

Nuran David Calis: mir reicht das<br />

nicht, es einfach nur bei der Kritik zu<br />

belassen oder zu sagen: es gibt so viele<br />

Antworten. eine Antwort reicht,<br />

wenn es deine ist. Ich will meine eine<br />

Antwort schon kundtun. dafür kassiere<br />

ich dann auch gerne Prügel.<br />

Jan Neumann: mir ist es wichtiger,<br />

Fragen zu stellen. oder zu fragen,<br />

welche Fragen nicht gestellt werden.<br />

Würdet ihr alle zustimmen, dass es<br />

eure Aufgabe ist, Dinge kritisch zu beschreiben?<br />

Jan Neumann: ein teil der Aufgabe,<br />

ja. Ansonsten natürlich spaß, unterhaltung,<br />

erzählen.<br />

Dirk Laucke: spaß bedeutet auch,<br />

dass ich spaß habe beim schreiben.<br />

Reto Finger: Ich kann mir gut vorstellen,<br />

dass sich die Probleme so<br />

zuspitzen, dass es irgendwann wieder<br />

denkbar wird, stücke zu schreiben,<br />

die die eine Antwort liefern. unsere<br />

Gesellschaft steuert auf missstände<br />

zu, die ab einem gewissen Punkt einfach<br />

zu beantworten sind. Ich kenne<br />

die situation in deutschland nur aus<br />

der Zeitung. In der schweiz werden<br />

unter dem titel „sparen“ sozialleistungen<br />

abgebaut, was früher oder<br />

später in schweizer städten zu sozialen<br />

unruhen führen wird. vor v zwei<br />

71<br />

HocHstapEln<br />

von Jan Neumann<br />

uraufführung am 2. dezember <strong>2010</strong> im theater unten<br />

„Hochstapeln“ meint nicht nur die klassischen Hochstapler,<br />

millionenbetrüger, Lügner. das experiment wäre,<br />

diesen Begriff auf alle Lebensbereiche auszudehnen. wann w<br />

stapeln wir hoch?<br />

Welche Geschichten, welche Realitäten erfinden wir im<br />

Angesicht der Krise? welche w sicherheiten bleiben, wenn<br />

nichts mehr gedeckt ist? dem Geldwert schon längst kein<br />

sachwert mehr entspricht? und nichts mehr im verhältv nis steht? welche w Behauptungen werden aufgestellt? In der<br />

wirtschaft? der Politik? Im Privatleben? wie erschwindeln<br />

wir uns Geld? Aufmerksamkeit? Liebe? Wie erfinde<br />

ich mich selbst? In meinem Facebook-Profil? In meiner<br />

Beziehung? Im Beruf? Wann beginnen wir zu erfinden?<br />

Hochstapler sind märchenerzähler: „das wichtigste,<br />

wenn sie betrügen wollen, sie müssen ihre Geschichte<br />

einfach und logisch erzählen“, rät Profibetrüger Mark Z.<br />

sie sind Geschichtenerzähler, schauspieler, manipulierer –<br />

wie wir alle.<br />

„Hochstapeln“ ist eine stückentwicklung. Ausgehend<br />

von einem schlüsselbegriff entsteht der theatertext während<br />

der Probenzeit – gemeinsam mit den schauspielern,<br />

vor ort und für die stadt.<br />

Regie: Jan Neumann<br />

Bühne: Thomas Goerge<br />

Kostüme: Nini von Selzam<br />

Dramaturgie: Anna Haas

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