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Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum

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Er wurdE in bochum GEborEn<br />

und ist sEit übEr viErziG JahrEn<br />

politisch aktiv. Er war<br />

anwalt von Gudrun Ensslin<br />

und GründunGsmitGliEd dEr<br />

GrünEn, spätEr sass Er für diE<br />

spd als bundEsinnEnministEr<br />

auf dEr rEGiErunGsbank. wEr,<br />

wEnn nicht otto schily, soll<br />

dEnn bEschEid wissEn übEr diE<br />

vErstrickunGEn von macht<br />

und vErantwortunG, von EntschEidunGsnot<br />

und schuld?<br />

interView: thOmaS laue und Sabine reich<br />

FOtOS: harry weber<br />

Herr Schily, woher nehmen Sie Ihre<br />

Überzeugungen? Wie kommen Sie dahin,<br />

zu sagen: „Das, was ich tue, ist<br />

richtig.“?<br />

indem ich das Für und wider abwäge.<br />

in der Politik gibt es eine einfache<br />

grundregel für entscheidungen:<br />

„was kann ich durch einen bestimmten<br />

Schritt gewinnen, und was<br />

kann ich verlieren?“ das ist eine abwägung,<br />

die ich immer vornehmen<br />

muss. Sie unterscheidet sich von<br />

der Frage „Kann ich die entscheidung<br />

verantworten, oder kann ich<br />

sie nicht verantworten?“ auch diese<br />

Frage muss ich mir stellen. da kommen<br />

Sie in der Politik nicht selten in<br />

sehr belastende entscheidungssituationen.<br />

Können Sie eine solche Entscheidung<br />

benennen?<br />

als ich ganz neu im amt als innenminister<br />

war, hatten wir es mit einem<br />

erpressungsversuch zu lasten<br />

der bahn zu tun ... da wollte jemand<br />

von der bahn viel geld. dann brachte<br />

er – oder die, die da am werke<br />

waren – einen güterzug zum entgleisen.<br />

Man merkte, das sind Profis,<br />

die verstehen ihr handwerk. und<br />

dann fingen die Erpresser an, sich an<br />

eine ice-Strecke heranzumachen.<br />

OttO Schily — Schuld & VerantwOrtung<br />

die Vorstellung, ein ice-Zug könnte<br />

durch das verbrecherische treiben<br />

der erpresser verunglücken, hat mir<br />

seinerzeit schlaflose Nächte bereitet.<br />

es ist ja nicht einfach, hunderte von<br />

Kilometern der eisenbahnstrecke<br />

zu überwachen. um der erpresser<br />

habhaft zu werden, habe ich mich<br />

seinerzeit entschlossen, Kräfte der<br />

bundespolizei von der grenze abzuziehen.<br />

das war nicht ungefährlich,<br />

aber in der risikoabwägung war es<br />

sicherlich die richtige entscheidung.<br />

dank der ausgezeichneten arbeit der<br />

bundespolizei und des bundeskriminalamtes<br />

konnten wir schließlich<br />

den erpresser – es stellte sich heraus,<br />

dass es ein einzeltäter war – hinter<br />

Schloss und riegel bringen.<br />

eine weitaus schwierigere entscheidung<br />

war die beteiligung deutschlands<br />

am Kosovokrieg. wir kamen<br />

1998 in die regierung und wurden<br />

bereits in den ersten monaten mit<br />

dieser Frage konfrontiert. die entscheidung<br />

über den einsatz im Kosovo<br />

ist mir ungeheuer schwer gefallen.<br />

Sie begleitet mich bis heute und wird<br />

mich bis an mein lebensende begleiten.<br />

merkwürdigerweise ist mir in<br />

erinnerung geblieben, dass durch einen<br />

bombenabwurf auf ein Fernsehgebäude<br />

in belgrad eine Friseuse zu<br />

tode kam. Sie hatte mit dem ganzen<br />

nichts zu tun, hatte mit milošević<br />

nichts zu tun, und sie verlor ihr junges<br />

leben. es sind viele andere umgekommen.<br />

wir bemänteln diese Opfer<br />

als so genannte Kollateralschäden<br />

52<br />

militärischer Operationen. entscheidungen,<br />

die wir in der Politik zu treffen<br />

haben, die lasten schwer auf uns.<br />

weil wir damit Konsequenzen in unsere<br />

Verantwortung aufnehmen, die<br />

mitunter grauenvoll sind.<br />

Stellt sich dann die Frage nach Schuld?<br />

das ist das thema der griechischen<br />

dramen: die unausweichlichkeit<br />

der Schuld. ganz egal, wie Sie handeln,<br />

Sie werden stets schuldig.<br />

Ist es ein Kern von Politik, dass man bereit<br />

ist Schuld auf sich zu laden?<br />

ich würde es eher Verantwortung<br />

nennen. wie gesagt, ich muss mich<br />

entscheiden: will ich die Konsequenzen<br />

verantworten, auch die<br />

negativen Konsequenzen? Vielleicht<br />

kann ich das mit einem medizinischen<br />

Vergleich erläutern. auch bei<br />

einer erkrankung müssen wir eine<br />

entscheidung treffen. anhand einer<br />

gründlichen anamnese gelangt<br />

der arzt im idealfall zu einer klaren<br />

diagnose der Krankheitsursache.<br />

dann müssen sich arzt und Patient<br />

für eine therapie entscheiden. meist<br />

ist es ratsam, zunächst die mildeste<br />

therapie zu wählen, vielleicht durch<br />

Verabreichung homöopathischer<br />

medikamente. ist der Krankheitsprozess<br />

schon weiter fortgeschritten,<br />

helfen möglicherweise nur noch<br />

allopathische Pharmazeutika und<br />

im schlimmsten Fall ist ein chirurgischer<br />

eingriff notwendig. in allen<br />

Fällen müssen Sie aufgrund einer lagebeurteilung<br />

risiken abwägen und<br />

danach ihre entscheidungen treffen.<br />

So ist es auch in der Politik. leider<br />

lässt sich auch in der Politik manchmal<br />

die chirurgie nicht vermeiden.<br />

Das beschreibt eine Position, von der<br />

aus man von außen auf Dinge schaut,<br />

beobachtet, analysiert und dann eingreift<br />

und handelt. Aber das Tragische<br />

in der Tragödie wie in der Politik ist ja,<br />

dass die Menschen nicht außen stehen,<br />

sondern dass die Personen, die handeln,<br />

immer Teil einer Geschichte sind und<br />

deshalb niemals einen distanzierten<br />

Blick haben.<br />

Ja, gut beobachtet. da haben Sie<br />

schon recht. Sie befinden sich<br />

manchmal in einem geschehen,<br />

in dem Sie selber nur noch weni-

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