ie ein endloser Trommelwirbel prasselt der Regen auf das Dach des Gewächshauses. Es regnet schon den ganzen Tag und wird noch lange nicht aufhören. Nass von oben und unten, Holland eben. Umgeben von dünnen Wassergräben steht das Gewächshaus in einem Dorf in der Nähe von Leiden auf einem der unzähligen Polder, mit denen die Niederländer nahezu die Hälfte ihres Landes dem Meer abgerungen haben. Im Glashaus sind es tropische 29 Grad bei achtzigprozentiger Luftfeuchtigkeit. Draußen nähert sich das Quecksilber dem Gefrierpunkt. „Diese Temperatur mag ich sehr. Ich habe viel an solchen Orten gearbeitet. Meine ganze Kindheit und Jugend habe ich dort verbracht. In meiner Familie sind fast alle Gärtner, nur ich bin letztlich doch das schwarze Schaf geworden“, sagt Paul Koek und lacht, während er die beschlagenen Gläser seiner Hornbrille am Fleecepullover säubert. „Ein friedlicher Ort, nicht?“ Er lässt die Stille wirken, die nur durch ein Radio gestört wird, das leise Popmusik spielt. „Ich habe bei der arbeit nie Musik gehört. Ich habe die Stille genossen. Die ist hier oft wie eine Meditation. Du musst welke Blätter zupfen, fängst vorne an und bewegst dich tagelang ganz langsam von Pflanze zu Pflanze durch den Raum.“ Er macht noch eine Pause. Wieder rauscht nur der Regen, und es könnte auch ein feiner Wasserstaub sein, der auf die fleischigen Blätter der Topfpflanzen gesprüht wird, die hier zu zehntausenden gezüchtet werden. Es ist die Dieffenbachia, vor allem die beliebte PaUL KOEK — DER UTOPIST Sorte „Tropical Snow“, die in dieser holländischen Dschungel-Hitze für Millionen europäische Wohnzimmer wächst. Sein Schwager, dem das Gewächshaus gehört, hat die Züchtungsrechte für ganz Europa an der Zimmerpflanze mit ihrer giftigen Milch, die aus dem brasilianischen Regenwald kommt. „Ich hatte ja auch gar keine ahnung von Musik. Das kam ja alles erst später. Heute höre ich viel Musik bei der arbeit, vor allem wenn ich mich vorbereite. Dann höre ich moderne Klassik des 20. Jahrhunderts, Varèse, cage, so was. Es war für mich fast eine Offenbarung, als ich damals diese Musik kennen lernte. Ich hatte ja jahrelang keinen Musikunterricht und habe mir alles selbst beigebracht. Und auf einmal waren da diese Kompositionen, die so klangen „Vielleicht bin ich hier geblieben, weil ich das Mädchen Von nebenan geheiratet habe.“ wie das Zeug, das ich selbst ausprobiert hatte.“ Während Paul Koek mir voraus durch das Gewächshaus geht, stelle ich ihn mir als jugendlichen Gärtner vor, der umgeben von Tulpen und Fresien bei der arbeit mit Klängen und Rhythmen experimentiert und noch nicht weiß, dass er einmal ein bedeutender europäischer Musiktheatermacher sein wird. Ein seltsam schönes Bild. Paul Koek – dessen Name man übrigens „Kuck“ und nicht „Köck“ ausspricht – ist heute Musiker, Komponist und Theaterregisseur. Vor seinem Musikstudium hat er, wie fast alle in seiner Familie, eine Lehre als Gärtner gemacht und schließlich in den Koek’schen Gewächshäusern gearbeitet. Doch nebenher ging er heimlich seiner größten Leidenschaft nach – er spielte Schlagzeug. als er nach abschluss seiner Gärtnerlehre auf die Meisterschule gehen sollte, radelte er an den Berufsschultagen in den Proberaum und ließ die Gärtnerklasse ausfallen. 12 Dort spielte er stundenlang alleine oder mit Band, hörte Musik der aktuellen Rockmusikgrößen wie Soft Machine oder Pink Floyd und genoss die Bewunderung der Mädchen aus der Nachbarschaft. Bis eines Tages die Tür aufflog und sein Vater im Bandraum stand. Ein Schock für den schulschwänzenden jungen Drummer, der gerade – umgeben von Mädchen – Tee trank und Haschisch rauchte. Der Vater fixierte den Sohn streng im Kreis der erschrocken verstummten Teenager. Dann verschwand er wieder, ohne wirklich etwas gesagt zu haben. aus angst vor dem bevorstehenden Familienkrach kam Paul erst spät in der Nacht nach Hause. Drei Tage sprachen Vater und Sohn kein Wort miteinander. Erst am vierten Morgen war es der Vater, der seinem Spross schnörkellos mitteilte, dass er ihn an der Musikschule von Leiden angemeldet habe. Und dann ging alles recht schnell. Paul Koek war schon zu diesem Zeitpunkt viel zu gut für die Musikschule. aber er hatte sich alles selbst beigebracht und keinerlei Technik gelernt. Sein Schlagzeug-Lehrer, der auch am Königlichen Konservatorium von Den Haag unterrichtete, nahm ihn mit in die Musikhochschule und von nun an studierte Koek dort. Früh morgens und an den Wochenenden arbeitete er weiterhin als Gärtner, an den Wochentagen studierte er Schlagzeug am Konservatorium. Bis heute ist Paul Koek der renommierten ausbildungsstätte verbunden. Er ist Professor und leitet den gerade von ihm und seinem Dramaturgen Paul Slangen gegründeten Studiengang für Musiktheater. „Mein Vater glaubte mir erst, dass ich von der Musik leben kann, als er mich in diesem riesigen Symphonieorchester im Frack sitzen sah. Und was habe ich da gespielt? Triangel. Nach zwei Tagen habe ich meine Orchesterkarriere für immer beendet“, grinst er. Dann fügt er erklärend hinzu: „Die Mentalität dort war nicht das, was ich von der Musik wollte. Ich wollte keine Sicherheit, ich wollte Risiko.“ Wir verlassen die tropische Wärme. Paul zieht die Gewächshaustür
Paul Koek ist ein Idealist. Er experimentiert immer. Er wählt nie das sichere Terrain. Und er hat eine Schwäche für visionäre Menschen. 13