Dries VerhoeVen — nachricht Vom anDeren enDe Der Welt 48 Foto: Zhang huan
hallo <strong>Bochum</strong>, 24. märz <strong>2010</strong> hier kommt eine nachricht vom anderen ende der Welt: gerade arbeite ich an der Produktion „life streaming“, die wir im oktober an ihrem theater zeigen werden. ich habe eben mal im internet nachgesehen und herausgefunden, dass <strong>Bochum</strong> 8212 km von dem ort entfernt ist, an dem ich im augenblick bin. in den letzten Jahren habe ich Produktionen entwickelt, die die Distanz definiert haben, die wir zueinander haben; also die tatsächliche und die emotionale Distanz, die wir für Menschen empfinden, denen wir zufällig begegnen – im supermarkt, in der nachbarschaft, in dem haus, in dem wir leben. in „You are here“ habe ich ein hotel gebaut, das ein model für unsere gesellschaft sein sollte, in der wir nur 80 cm von unseren nachbarn entfernt schlafen, ohne sie eigentlich zu kennen. in „life streaming“ werde ich das gegenteil machen. ich versuche, die Distanz zu den menschen zu bestimmen, die wirklich ganz woanders leben, denen wir aber über das internet oder die medien zu jeder beliebigen tagesszeit in unseren Wohnzimmern begegnen können. ich arbeite mit einer gruppe von zwanzig Darstellern. Die eigentliche Vorstellung wird in einem internet-Café stattfinden, das wir auf dem Platz vor dem <strong>Schauspielhaus</strong> aufbauen werden. Jeder Zuschauer wird mit einem Darsteller in direkten Kontakt treten, der hier am strand sein wird. ich habe mich entschieden, nicht zu sagen, wo ich genau bin. Der ort liegt von <strong>Bochum</strong> etwa soweit entfernt wie miami, ist aber auf einem anderen Kontinent. ich arbeite in einem land, in dem es keine schauspielschule gibt. Die Vorstellungen, die ich hier bisher gesehen habe, würden wir europäer als Folklore beschreiben. es ist ein tourismusland, aber in der hauptstadt sind überall checkpoints des militärs. Die surfer am strand wurden gestern von einem Boot der marine bewacht. Vor noch nicht all zu langer Zeit waren Bilder einer Katastrophe aus diesem land auf der ganze Welt zu sehen. es scheint, als würden tourismus und tod manchmal hand in hand gehen: ich wohne gerade in einem der beliebtesten städtchen am meer und doch geben sich die leute hier keine mühe, die vielen gräber vor den touristen zu verstecken. aber wenn man es nicht selber gesehen hat, versteht man wahrscheinlich nicht, wie friedlich und schön es hier ist. Wie und ob ich all diese Eindrücke in die Produktion einfließen lasse, weiß ich noch nicht. Bis jetzt kann ich nur sagen, dass all dies sehr inspirierend und verwirrend ist. ich frage mich, wie wir europäer mit tod und Verlust umgehen, bei der Überdosis von Bildern, mit denen wir täglich in den acht-uhr-nachrichten konfrontiert werden. und ich frage mich, ob die menschen hier emotional anders beschaffen sind und uns das die erbärmlichen Bilder, die wir in europa empfangen, gar nicht vermitteln. schaffen medien wie das internet wirklich einfachere Verbindungen zwischen den menschen oder sorgt eine höhere Bandbreite der Datenströme für eine größere Unfähigkeit, wirklich miteinander in Kontakt zu treten? Es grüßt herzlich von einem windigen Ort Dries Verhoeven aus Dem englischen Von olaF KröcK 49 LIFE STREAMING Is it really possible to connect to people at the other side of the world? Eine Weltverbindung von Dries Verhoeven Premiere am 1. oktober <strong>2010</strong> auf dem Platz vor dem schauspielhaus Dries Verhoeven zählt zu den interessantesten jungen europäischen Künstlern. seine arbeiten bewegen sich zwischen Dokumentar-theater und bildender Kunst. Der 1973 geborene niederländer entwirft seit 2002 eigene installationen und experimentelle inszenierungen, die auf diversen Festivals gezeigt wurden. Sie finden oft im öffentlichen raum statt. in seinen aufwendigen Produktionen bekommt der Zuschauer immer eine aktive rolle und wird in das geschehen verwickelt. und man lässt es erstaunlicherweise gerne mit sich machen. Verhoeven spielt mit unserer Wahrnehmung, manipuliert die Besucher seiner installationen emotional. er kommt uns nahe, balanciert an der grenze, wo es zu nah werden kann. Dabei ist er aber nie aggressiv überrumpelnd, immer lässt er raum für den rückzug. so erlebt man in seinen inszenierungen die Welt auf eine neue, verwirrende und poetische Weise. 2009 erhielt er für seine hotel-installation „You are here“ den „Young Directors award“ der salzburger Festspiele. Jetzt zeigt er seine neue Produktion in Koproduktion mit dem schauspielhaus <strong>Bochum</strong>, in der sich die Zuschauer live mit dem anderen ende der Welt verbinden und mit fremden menschen in direkten Kontakt treten. Konzept und Regie: Dries Verhoeven 30. September (Voraufführung); 1. (Premiere) bis 3. Oktober und 7. bis 10. oktober <strong>2010</strong> jeweils um 10.00 uhr, 12.00 uhr und 13.45 uhr für je 20 Personen auf dem Platz vor dem schauspielhaus. aufgrund der Zeitverschiebung zum anderen ende der Welt finden die Vorstellungen am Vormittag statt. Die Vorstellungen sind in englischer sprache. Eine Produktion von Dries Verhoeven in Koproduktion mit dem <strong>Schauspielhaus</strong> <strong>Bochum</strong>, dem Festival a/d Werf (Utrecht) und LIFT (London) Mit Unterstützung durch den Fonds Podiumkunsten, Prince Bernhard Cultural Fund, Hivos-NCDO Cultural Fund, BKVB and SNS Reaal Fund, VSBfonds und dem Theaterinstitut der Niederlande im Rahmen von NL-RUHR.<strong>2010</strong>