Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
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Nuran David Calis: ... Gangster ...<br />
Bangster.<br />
Reto Finger: m an hat ja nicht die<br />
wahl.w Aber noch bin ich nicht so-<br />
weit, dass ich lieber Franzose oder<br />
deutscher wäre. Ich bin in einem<br />
kleinen dorf, fernab der stadt, im emmental<br />
groß geworden. das spielt für<br />
mein schreiben absolut eine rolle.<br />
Kommst du nicht aus so einer Hippie-<br />
Familie?<br />
Reto Finger: Ich war zum einen mit<br />
meiner mutter auf einem Bauerndorf<br />
in rumendingen und an den<br />
wochenenden w bei meinem vater v in<br />
einer Kommune im Jura. Heimat ist<br />
immer ein guter ort, um essenzielle<br />
dinge rausschälen zu können.<br />
Dirk Laucke: das finde ich auch.<br />
wobei w ich durch Halle an der saale<br />
nicht unbedingt positiv beeinflusst<br />
bin. man kann da von einer Hassliebe<br />
sprechen. es war nun mal eine<br />
sehr konfliktreiche Gegend und das<br />
lässt mich nicht mehr los: diese gesellschaftlichen<br />
umbrüche, die in<br />
meiner Familie stattgefunden haben,<br />
und was ich in meiner Jugend dort<br />
erlebt habe. wenn w ich recherchiere,<br />
fällt mir ein: Ach, ich kenne ja so einen<br />
stasi-mann – wo habe ich den<br />
kennen gelernt? – in Halle. dann<br />
kann ich den ja mal interviewen. so<br />
gesehen ist Halle noch immer meine<br />
Quelle.<br />
Würdest du dich als ostdeutschen Autor<br />
bezeichnen?<br />
Dirk Laucke: das würde ja heißen,<br />
dass ich so einen sonderfall von<br />
ostdeutschland annehme, und das<br />
klingt fast positiv besetzt, als ob ich<br />
das gut finden würde, dass es ein<br />
ost- und ein westdeutschland w<br />
gibt.<br />
Was ist als Erstes da, wenn ihr mit einem<br />
Stück beginnt?<br />
Reto Finger: e ine Atmosphäre, eine<br />
temperatur, t<br />
ein Gefühl dafür, wie es<br />
schmecken muss, wenn es schmecken<br />
würde.<br />
Nuran David Calis: oder ein Film. Ich<br />
lasse beim schreiben extreme Zustände<br />
aufeinander zufahren.<br />
Ich brauche das, um in dialog mit<br />
einem text t zu kommen. dann kann<br />
ich ihn als Inspirationsquelle nehmen<br />
und mich dort im Kern aber frei<br />
bewegen.<br />
Jan Neumann: Für mich stehen am<br />
Anfang ein Gedanke oder eine situation.<br />
etwas, dass ich interessant<br />
Dirk Laucke<br />
geboren 1982 in Schkeuditz in Sachsen,<br />
wuchs in Halle an der Saale auf.<br />
Nach einem abgebrochenen Psychologiestudium<br />
in Leipzig studierte er von<br />
2004 bis 2008 Szenisches Schreiben<br />
an der der Universität der Künste Berlin<br />
(UdK). Für sein Stück „alter ford<br />
escort dunkelblau“ erhielt er 2006 den<br />
Kleist-Förderpreis für junge Dramatik,<br />
2007 wurde er in der Kritikerumfrage<br />
der Zeitschrift „Theater heute“ zum<br />
Nachwuchsautor des Jahres gewählt.<br />
„Laucke hat eine eigene Sprache gefunden,<br />
die Wirklichkeit auf die Bühne zu<br />
bringen. Ausgestattet mit einem feinen<br />
Gespür für Figuren, nimmt er besonders<br />
Randfiguren der Gesellschaft ins Visier“,<br />
hieß es in der Jurybegründung zum Dramatikerpreis<br />
des Kulturkreises der deutschen<br />
Wirtschaft im BDI, mit dem er<br />
<strong>2010</strong> ausgezeichnet wurde. Darüber<br />
hinaus entwickelt Dirk Laucke auch als<br />
Regisseur Theaterprojekte mit Laien, so<br />
zuletzt „Ultras“ mit jugendlichen Fußballfans<br />
am Thalia Theater Halle.<br />
finde und über das ich weiter nachdenken<br />
möchte.<br />
Christoph Nußbaumeder: Bei mir ist<br />
es eine situation oder eine Konstel-<br />
73<br />
Jimi Bowatski<br />
Hat H k kEin<br />
scHamg Hamg H EfüHl<br />
von Dirk Laucke<br />
uraufführung am 25. märz <strong>2011</strong> in den Kammerspielen<br />
Jochen Bowatski lässt sich von allen gerne Jimi nennen,<br />
weil alle Großen Jimi hießen – Hendrix, dean und morrison.<br />
nur sind alle großen Jimis tot und Jochen ist gerade<br />
50 geworden. die Autozuliefer-Fabrik, in der er seit zwanzig<br />
Jahren arbeitet, wird nach Indien verfrachtet und er steht<br />
vor dem Aus. er schnappt sich seinen Kumpel markus<br />
welt, w dessen tochter t und Lebensinhalt sich demnächst<br />
wohl auch mit ihrer mutter, markus’ ex, aus dem radius<br />
seiner ALGII-technischen Residenzpflicht verabschieden<br />
wird. markus’ ex hat einen besseren Job in der schweiz.<br />
da marschieren Jimi und markus ins werk, w um dem Chef<br />
die rechnung zu präsentieren, doch statt den Chef im Büro<br />
erwischen sie seine Frau im Bett mit dem jungen, schicken<br />
Lúc, man kann ihn auch Lutz nennen.<br />
Als der werksleiter w auch noch tot aufgefunden wird,<br />
übernimmt Jimi Bowatski gänzlich die Kontrolle. die Inder<br />
werden am nächsten tag t heimgeschickt, das werk w besetzt.<br />
und Jimi Bowatski wäre kein Jimi Bowatski, wenn das kein<br />
von erfolg gekröntes unternehmen wäre. Jimis Aktion zur<br />
sicherung deutscher Arbeitsplätze wird als modellprojekt<br />
gepriesen. sogar markus’ ex kommt aus der schweiz vorbei,<br />
um mit ihm über seine vaterrolle v zu reden. nur der<br />
gigolomäßige Lúc will sich mit einer richtigen Arbeit nicht<br />
so ganz anfreunden und kriegt seine rechnung präsentiert,<br />
als Jimi Bowatski sein schamgefühl gänzlich verloren hat.<br />
dirk Lauckes neues stück erzählt von echten Helden und<br />
wahren Freunden, die bei jedem schritt auf neue Feindbilder<br />
stoßen, auch wenn stets die alten Abhängigkeiten im<br />
spiel sind.<br />
Regie: Heike M. Götze<br />
HEikE M. GöTzE<br />
wird das neue Stück von Dirk Laucke inszenieren. Bereits<br />
während ihres Studiums an der Zürcher Hochschule<br />
der Künste war Heike M. Götze mit ihren Inszenierungen<br />
zu den Zürcher Festspielen und zum Zürcher<br />
Theaterspektakel eingeladen. Für ihre Diplominszenierung<br />
„Spieltrieb“ nach Juli Zehs gleichnamigem Roman<br />
wurde sie 2008 mit dem Körber-Preis für Junge Regie ausgezeichnet.<br />
Seitdem arbeitet sie regelmäßig am Theater Basel,<br />
am <strong>Schauspielhaus</strong> Zürich und am Schauspiel Hannover.<br />
Am Schauspiel Essen hat sie in der vergangenen Spielzeit<br />
John Osbornes „Blick zurück im Zorn“ inszeniert. Ihre<br />
Inszenierungen zeichnen sich durch eine hohe körperliche,<br />
fast tänzerische Energie aus, verbunden mit absoluter Genauigkeit<br />
im Umgang mit Sprache. Hin und wieder steht sie<br />
auch selbst als Schauspielerin auf der Bühne, so zuletzt am<br />
Schauspiel Hannover als Christian in „Das Fest“ nach dem<br />
Film von Thomas Vinterberg.