Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
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MITTELMEER<br />
BEWOHNER<br />
MITTELMEERBEWOHNER — MuSTApHA CHERIF<br />
papst Benedikt der XVI. lud Mustapha<br />
Cherif 2006 ein zu einem Gespräch<br />
über das Verhältnis der Religionen<br />
in Europa, als der sogenannte „Clash<br />
of Civilizations“ heiß diskutiert wurde.<br />
„Der Clash der Kulturen“ ist<br />
ein Begriff des uS-amerikanischen<br />
politikwissenschaftlers Samuel phillips<br />
Huntington, der einen dauerhaften<br />
Kampf insbesondere von Christentum<br />
und Islam behauptet.<br />
Dem gegenüber erinnert der algerische<br />
philosoph und Soziologe Mustapha<br />
Cherif an die gemeinsamen<br />
Wurzeln von Okzident und Orient.<br />
Westen und Osten, oder anders gesagt,<br />
der Norden und Süden Europas,<br />
haben sich schon immer in einem<br />
engen und fruchtbaren Austausch<br />
entwickelt. Es waren die Kulturen des<br />
Mittelmeerraumes, die von Andalusien<br />
ausgehend bis in den Maghreb<br />
eine erste Idee von Europa formulierten.<br />
Er ruft auf zu einem Dialog,<br />
der sich erinnert und auf die Suche<br />
begibt nach einer Kultur Europas, die<br />
noch fehlt.<br />
44<br />
TEXT: MuSTApHA CHERIF<br />
Dialog der Kulturen, diese Worte sind so abgenutzt, dass<br />
ihr Gebrauch suspekt erscheint. Bezeichnen sie nicht in<br />
einem Kontext, in dem Zynismus, Grausamkeit, Arroganz<br />
und Doppelzüngigkeit banalisiert werden, den Versuch,<br />
die Hegemonie zu rechtfertigen, deren Gesetz in<br />
der zunehmenden Konzentration des Reichtums und der<br />
Entscheidungsinstrumente besteht? Aber der, der sich als<br />
Mittelmeerbewohner und Erbe des andalusischen Geistes<br />
versteht, kennt den wahren Wert dieses Begriffes, der die<br />
Begegnung der Kulturen, die sich dennoch nicht vereinen,<br />
meint. Heute sind die zwei Welten durchdrungen und verflochten.<br />
Goethe, Hegel und Hölderlin, genau wie Averroès,<br />
Rumi und Ibn Arabi, sie alle wussten, dass der Islam<br />
Teil des Okzidents ist.<br />
Ein Dialog ist immEr auch Ein<br />
Dialog mit sich sElbst.<br />
Es braucht immEr DEn anDErEn, um<br />
DEn EigEnEn horizont zu öffnEn.<br />
So haben sich einstmals die Kulturen und Völker des Orients<br />
und des Okzidents gemischt. Warum sind wir heute<br />
nicht in der Lage, uns unsere Völker als einen Schmelztiegel<br />
vorzustellen, der eine Kultur, noch unbekannt und unvorhersehbar,<br />
hervorbringt? Die Globalisierung birgt die<br />
Chance, Raum für eine gemeinsame Sinngebung zu schaffen.<br />
Ich habe mich dieser Überzeugung verschrieben und<br />
daran glaube ich. Im Angesicht der Hegemonialstrategie<br />
und des Wiedererstarkens fremdenfeindlicher Strömungen<br />
sind Dialog, Annäherung und Öffnung der Kulturen umso<br />
wichtiger. Der Ausweg aus der moralischen Krise führt über<br />
den Dialog. Man spricht nicht miteinander, um dem anderen<br />
sein Gesetz aufzuzwingen. Ein Dialog ist nicht nur<br />
eine Begegnung von Fremden oder Gegnern. Ein Dialog ist<br />
immer auch ein Dialog mit sich selbst. Wir brauchen den<br />
anderen, um den eigenen Horizont zu öffnen.<br />
„DiE WahrhEit DEs glaubEns kann<br />
niEmals im WiDErspruch sEin zur<br />
WahrhEit DEr VErnunft.“<br />
Seit 1993 und schon vor den Attentaten des 11. Septembers<br />
waren die Theorien über den Clash der Kulturen zwischen<br />
der muslimischen Welt und dem Westen Ausdruck der Erfindung<br />
eines neuen Feindes. Sie wurden 1989 nach dem<br />
Fall der Berliner Mauer zur offiziellen Theorie. Die Islamfeindlichkeit<br />
ist eine Täuschung, die schon vor dem Terrorismus<br />
der Schwachen bestand. Das Konzept der „Kultur“